Info Dieser Beitrag entstand zuerst als Antwort auf der Frage-und-Antwort-Plattform Quora. Er wurde mit allen Fehlern und Tippfehlern ins Blog übernommen. Fehler und Tippfehler in der Frage sind die Fehler des ursprünglichen Fragestellers

tl;dr: Die Diskriminierung von dicken Menschen hat einen gesellschaftlichen, dunklen Zweck. Richtig ist sie deswegen nicht. Die Begründungen, warum Dickenfeindlichkeit okay ist, sind vorgeschoben, durchsichtig und oft auch komplett falsch.


Es geht dabei um gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, die sozialen Dynamiken von In- und Outgroups und um Projektionsflächen.

Dicke Menschen als Projektionsfläche

Zuerst einmal sind dicke Menschen eine Projektionsfläche. Sie erfüllen den gesellschaftlichen Zweck, dass man negative Gefühle, meist solche, die man in Wirklichkeit sich selbst gegenüber hegt, auf eine andere Person projizieren kann und sich dadurch selbst besser fühlt.

Wenn ihr mal darauf achtet, wer die übelsten Sprüche gegen Dicke bringt: dass sind im Allgemeinen nicht die selbstbewussten, in sich ruhenden Menschen, sondern das sind wütende Menschen, die im Leben nicht das bekommen haben, von dem sie denken, dass es ihnen zusteht. Die nicht erreicht haben, was sie gerne erreicht hätten und die sehr oft auch einfach gar nicht das Zeug haben, sagen wir, viel Grip auf die Straße zu bringen.

Damit der Selbsthass, das Gefühl minderwertig zu sein, erträglich bleibt, lenkt man es auf andere Menschen um. Aber eben nicht auf irgendwelche anderen Menschen, sondern solche, bei denen es sozial und gesellschaftlich akzeptabel zu sein scheint, sie zu verachten. Alleine schon dafür, dass sie existieren.

Diesen Zweck erfüllten in der Vergangenheit Außenseiter aller Art. Juden beispielsweise, was sich auch immer wieder in blutigen Übergriffen zeigte, Angehörige einer anderen Religion oder Ausrichtung der gleichen Religion, Fremde/Ausländer und sehr sehr oft Menschen mit Behinderungen oder körperlichen auffälligen Merkmalen.

All das ist mehr oder weniger aus der Mode gekommen. Zuletzt wird es auch immer schwerer, noch sozial akzeptiert Menschen mit Behinderungen zu hassen.

Denn: Menschen, die ihren Selbsthass nach Außen umleiten müssen, wollen damit nicht sich selbst ins gesellschaftliche Abseits stellen. Sie wollen sich ja besser fühlen, und sich nicht in eine schwierige Situation bringen, die wiederum Selbsthass hervorrufen würde.

Nachdem es also, je nach Umfeld, für unangenehme soziale Konsequenzen sorgt, wenn man Menschen mit Behinderungen hasst, beschimpft und benachteiligt, und das oft auch damit begründet wird, dass Menschen mit Behinderungen ja ‘nichts dafür könnten’ behindert zu sein, wird die Luft für Menschen dünn, die ohne den Hass an sich selbst kaputt gehen.

Dicke können angeblich aber etwas dafür dick zu sein. Und ganz egal ob das nun wahr ist oder nicht, daraus wird konstruiert, dass es okay sei, Dicke zu hassen. Weil sie ja was falsch machen. In einer Gesellschaft, in der es als positiv gilt, Empathie auch gegenüber MmB zu zeigen, nicht rassistisch oder sexistisch zu sein, bleibt Menschen, die keine gesunden Mittel haben, um mit ihrem Hass umzugehen, der Hass gegen Dicke als letzter, sozial akzeptierter Ausweg.

Und dann kommen die mit Fat Acceptance und dass man jetzt nicht mal mehr zünftig dicke Menschen benutzen darf, um mit sich selbst besser klar zu kommen. ¯\_(ツ)_/¯

Denn natürlich, ist es nicht okay, andere Menschen niederzumachen, nur um sich selbst besser zu fühlen. Für sowas geht man in eine Therapie und erlernt sinnvolle Methoden, die anderen nicht schaden.

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zur Stärkung der Ingroup

Dann ist da die Sache mit den In- und Outgroups.

Outgroups werden gesellschaftlich definiert, weil sie den inneren Zusammenhalt stärken.

So sind Menschen als mittelalterliche oder frühneuzeitliche Gemeinschaft immer schön zusammengerückt und interne Differenzen und Streitigkeiten traten nicht so zu Tage, wenn man sich mal wieder zum zünftigen Juden-Anzünden oder einer Bartholomäusnacht zusammenfinden konnte.

Heute sind mörderische Mobs ein bisschen aus der Mode gekommen. Statt dessen macht man das subtiler. Mit gehässigen Kommentaren, mit Mobbing, damit Leute auszugrenzen oder ihnen Respekt oder Chancen zu verweigern. Oder im Internet ganz unsubtil. Besonders, wenn Menschen der Outgroup auch noch in den Medien sichtbar sind oder *gasp* gar einflussreiche Positionen besetzen.

Dicke eignen sich als Outgroup besonders gut. Zum Einen, aus den oben genannten Gründen und weil sie schlicht optisch auffallen.

Beispielsweise wäre gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gegen Linkshänder eher eine schwierige Sache. Man sieht ja nur, ob jemand Linkshänder ist, wenn der gerade schreibt oder ein Werkzeug benutzt. Man müsste also immer ganz genau hinsehen und dann fragen: “Bist du etwa ein Liiinkshänder????!!?!”

Aber Dicke erkennt man eben. Und Dicke, das kommt dazu, gehören überdurchschnittlich häufig sozio-ökonomisch schlechter gestellten Gesellschaftsschichten an. Je finanziell besser gestellt jemand ist, um so mehr Geld investiert wird in das Ziel investiert, nicht dick zu sein. Und um so mehr frei verfügbare Zeit ist vorhanden, die auf das Projekt nicht dick zu sein verwendet werden kann.

Beide Arten von Währung, Geld und Zeit, stehen sozio-ökonomisch schlechter gestellten Menschen nicht oder nicht so umfangreich zur Verfügung.

Dass bedeutet, einmal erkennt man auf den ersten Blick, wer dick ist. Man muss nicht raten. Und man kann sich relativ sicher sein, dass man damit, Dicke zur Outgroup zu erklären, nur wenig Menschen erwischen wird, die tatsächlich ‘wichtig’ oder zumindest finanzstark sind.

Wenn der Chef früher sexistische Witze erzählt hat, konnte er anhand der Reaktion ablesen, ob ‘seine Leute’ auch wirklich ‘seine Leute’ sind. Er konnte an der Reaktion darauf, Frauen zur Outgroup zu erklären, erkennen, wer ihm gegenüber loyal ist. Menschen, die mit sexistischen Witzen klar kamen, rückten zusammen. Sie wussten: sie sind ein Team und stehen gegen eine Außenwelt, die sexistische Witze nicht ganz so knorke findet. Die anderen sind in einem toxisch sexistischen Umfeld wahrscheinlich früher oder später gegangen. Selektion und Stärkung der Ingroup in dem das Territorium durch sexistische Witze abgesteckt wurde.

Ein bisschen so, als würde ein Hund sein Revier durchs Pinkeln markieren und ähnlich sympathisch.

Heute sind immer weniger Leute noch mit sexistischen Witzen einverstanden. Oder Rassistischen. Oder Behindertenfeindlichen. Es wird also nicht leichter, die ‘eigenen Leute’ durch gezielt genutzte gruppenbezogene Menschlichkeit zu erkennen.

Aber zum Glück gehen Dicke immer noch.

Die Rechtfertigungen

Natürlich sind sich aber auch die Menschen, die ihren Dickenhass ausleben, bewusst, dass das was sie da tun, im Grunde nicht in Ordnung ist. Aber, um keine schlechten Gefühle zu entwickeln, die man — siehe oben — ja wieder umleiten müsste, um sich nicht schlecht fühlen zu müssen, braucht es also Begründungen WARUM man Dicke hassen darf.

Dafür dient dann dass Narrativ, dass Dicke ja selbst schuld daran sind, dick zu sein.

Das alleine ist aber noch schwierig. Denn Menschen sind ja auch selbst schuld daran, grüne Hosen zu tragen, aber das Tragen grüner Hosen ist noch kein Grund, sie zu hassen.

Also wird es um das Narrativ ergänzt, dass man Dicken quasi ‘zu ihrem Besten’ niedermachen müsse, weil dick sein ist ja ungesund. Damit sie dünn werden. Und Dicken wird die Aufnahme in die Ingroup in Aussicht gestellt, wenn sie nur endlich ihr Geld und ihre Zeit darin investieren, dünn zu werden.

Dann ist es ja wirklich nur noch ihre eigene Entscheidung, nicht dazugehören zu wollen. Oder? ODER?

Außerdem wird quasi jede schlechte Eigenschaft dieser Welt auf Dicke projiziert. Sie werden, also — erneut — zur Projektionsfläche. Sei das nun Faulheit, Trägheit, Dummheit, Verlogenheit … an der Körperform behauptet man, den Charakter erkennen zu können.

Auch das ist historisch gewachsen und früher nannte man sowas mal “Phrenologie”. Also die angeblich wissenschaftliche Methode (in Wirklichkeit zutiefst pseudowissenschaftliche), den Charakter eines Menschen an dessen Schädelform zu erkennen.

Das alles würde man ja aber ganz glasklar daran erkennen können, dass dicke Menschen (und zwar wiederum vor allem solche, die man in der Öffentlichkeit sieht) ihre Zeit und ihr Geld eben nicht alleine vor allem dem Ziel widmen, dünn zu werden.

Ein gesellschaftliches Märchen, dass dazu führt, dass sich viele dicke Menschen tatsächlich dazu genötigt sehen, ihr Leben quasi “on hold” zu setzen und zu versuchen dünn zu werden, um irgendwann gesellschaftlich akzeptiert zu werden. Die dann erleben, dass auch große Schritte für sie, 5 kg weniger zu haben oder 10 kg, einfach gar nichts bewirken, weil sie ja immer noch dick(er) sind, als gesellschaftlich akzeptiert wird. Und ein Ziel, dass für viele Menschen auch schlicht unerreichbar ist.

Sehr, sehr viel Energie und Lebenszeit wird verschwendet, weil Menschen die Lüge glauben, dass sie in die Ingroup aufgenommen werden, wenn sie nur endlich dünn sind. Die zu Hause bleiben und hungern, statt tanzen zu gehen oder die Dinge zu erreichen, die sie wirklich erreichen wollen.

Derweil wird weiter behauptet, dass die Akzeptanz dicker Menschen quasi eine Art Dammbruch bewirken würde. Dass Menschen sich dann ja nicht mehr bemühen dünn zu sein und gesund zu leben. Man redet sich also ein, der Hass habe quasi einen guten, gesellschaftlichen Zweck …

… was natürlich kompletter Bullshit ist.

Zum Beispiel ist es seit vielen Jahren gut wissenschaftlich belegt, dass genau dieser Druck, Hetze und Mobbing dicke Menschen dicker macht und verhindert, dass sie Pfunde verlieren.

Wirtschaftliche Interessen

Ganz zuletzt gibt es natürlich noch wirtschaftliche Interessen und Nutznießer.

Während natürlich ein zu hohes Gewicht mit gesundheitlichen Einbußen einhergeht und auch meist einen Verlust an “gesunder Lebenserwartung” bzw. “behinderungsfreien Lebensjahren” bedeutet, steht das in keinem Verhältnis zum Umsatz, der mit Diätprodukten, Fitnessangeboten, Ernährungsberatung und kosmetisch-chirurgischen Eingriffen gemacht wird. Und zwar mit dem Teil dieser Sparten, der über sinnvolle Gesundheitsmaßnahmen hinausgeht.

Es ist leider sehr oft nicht der sinnvolle Wunsch nach gesunder Lebensweise und ausreichend Bewegung, sondern die Angst vor dem Dicksein, die Menschen Diätgurus zutreibt.

Gerade das gesamte Feld der unausgebildeten “Ernährungsberatung” (nicht das der seriösen Ökotrophologen) verdient kräftigt durch Supplemente und angebliche Superfoods, die jetzt aber dannn wirklich endlich beim Abnehmen helfen.

Das geht so weit, dass sich nur die Frauenzeitschriften auf dem Markt halten können, die auch in jeder Ausgabe auch Diättipps anbieten.


tl;dr: Die Diskriminierung von dicken Menschen hat einen gesellschaftlichen, dunklen Zweck. Richtig ist sie deswegen nicht. Die Begründungen, warum Dickenfeindlichkeit okay ist, sind vorgeschoben, durchsichtig und oft auch komplett falsch.


Der folgende Absatz war rein für Quora-Kommentatoren gedacht. Hier im Blog gebe ich verzichtbare Kommentare nämlich gar nicht erst frei. 😉


Ich bin mal gespannt, wann ich hier die Kommentare zumachen werde. Potenziellen Kommentatoren sei gesagt: Es gibt nichts, dass ich zu diesem Thema nicht schon mal gehört habe und nein, es gibt kein gutes Argument, warum Dickenfeindlichkeit okay ist und ja es macht dich zu einem schlechten Menschen, wenn Du über Dicke herziehst. Ja, auch wenn es dicke Politiker:innen sind.


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