Info Dieser Beitrag entstand zuerst als Antwort auf der Frage-und-Antwort-Plattform Quora. Er wurde mit allen Fehlern und Tippfehlern ins Blog übernommen. Fehler und Tippfehler in der Frage sind die Fehler des ursprünglichen Fragestellers

Meiner Erfahrung nach ja. Ständig.

Impfgegnerschaft ist eine Ideologie, keine rationale, auf Fakten aufbauende Überzeugung. Wenn die dahinterstehende Überzeugung nicht direkt auf Menschenfeindlichkeit oder faschistischem Gedankengut beruht (aka “Durch Impfungen überleben die Schwachen und das schwächt den Volkskörper”) dann doch auf gefühlten Wahrheiten, aber nicht auf Tatsachen.

Man muss sich die Fakten schon immer zurechtbiegen, um Impfgegnerschaft vor sich selbst und anderen begründen zu können.

Und Menschen, die sich gut selbst betrügen haben oftmals auch weniger Probleme damit andere zu belügen.

Nicht, weil sie prinzipiell schlechte Menschen sind, sondern weil sie den Schutz des Bildes, das sie von der Realität haben, über alles stellen und mit Zähnen und Klauen verteidigen. Auch, und erst recht gegen die Realität.

Von daher empfinden sie Lügen wahrscheinlich auch nicht als Lügen, sondern als die sogar wahrere Variante der Realität, weil sie dem entspricht, was sie fühlen. Ganz egal, wenn alle Fakten dagegen sprechen. Sie spüren doch, was richtig ist.

Soweit die Theorie. Nun zur Praxis.

Exhibit A: Die wundersame 180-Grad-Wendung

Ich beobachte die Entwicklungen um SARS-CoV-2 seit Januar 2020. Nicht nur so nebenbei, sondern beruflich. Beispielsweise habe ich zu Beginn viele Nazi-Accounts beobachtet (Ja, echte Nazis. Keine “Nazi-Keule”).

Dort wurde, solange wird das Virus nur in China vermuteten, ein bestimmtes Narrativ gefahren. Um das mal etwas flappsig zusammenzufassen: China will uns alle umbringen, eigentlich ist das Virus VIEL(!) gefährlicher als China zugibt.

Jeder Fehler der irgendwo bei einer Dateneingabe gemacht und kurz darauf korrigiert wurde, war ein Beweis dafür, dass Chine eigentlich versucht die Lage viel unproblematischer darzustellen, als sie ist.

(Versteht mich nicht falsch. China hat am Anfang tatsächlich bagatellisiert und versucht Informationen über den Ausbruch zu unterdrücken. Zu dem Zeitpunkt war die Information aber schon in der Welt, alle westlichen Medien blickten auf China und man bekam durchaus mit, was sie an teils drastischen Maßnahmen unternehmen. Das Narrativ dieser Accounts war weit, weit übertrieben.)

Sobald das Virus aber in Italien war und wir die Bilder aus Bergamo sahen und dann auch noch Heinsberg dazu kam, drehte sich das Narrativ dieser Accounts um 180 Grad.

Auf einmal war das Virus harmlos und unsere Regierung bauscht die Gefährlichkeit nur auf um uns alle einzusperren und uns alle Rechte zu nehmen.

Wirklich, quasi über Nacht.

Und genau diese Nazi-Blase ist heute tief drin in der Impfgegnerszene und dabei kräftig zu desinformieren und anzuheizen.

Mir kann niemand erzählen, dass jemand seine Meinung zu einem Thema über Nacht ändert, das nicht bemerkt.

Hier muss man an die Aussage eines AfD-Funktionärs denken, dass Alles, was schlecht für Deutschland und schlecht fürs Volk ist, gut für die AfD ist.

Viele kranke Menschen sind schlecht für Deutschland, aber anscheinend gut für rechte Strömungen.

Exhibit B: Wichtigtuer

Erneut, ich beobachte bestimmte Strömungen und Gruppierungen, in denen desinformiert wird und ihre Methoden.

Eine Gruppe der Impfgegner besteht aus den Leuten, die auf einmal interessant sind.

Das sind Leute, die sind vorher nie besonders aufgefallen. Die sind mit dem Strom mitgeschwommen, fanden zwar immer, dass sie zu kurz kommen oder befürchteten, dass andere mehr vom Leben bekommen könnte, als sie, aber sie hätten sicher nie in der ersten Reihe gestanden um Dinge zum Positiven zu verändern.

Nun bekommen sie aber auf einmal in einer Subkultur Aufmerksamkeit, Beifall und Zustimmung, wenn sie ein bestimmtes Narrativ bedienen.

Die beginnen dann wilde und offensichtlich falsche Stories zu erzählen.

  • “Drei meiner besten Freunde sind an der Impfung gestorben.”
  • “20 Personen in meinem Bekanntenkreis leiden an Impfschäden.”

Oder gleich noch wildere Stories:

Zitat: “Meine Freundin ihre Mutter musste obwohl sie kein Corona hat, sondern wegen etwas anderem Operiert wurde, auf die Corona Station und wurde somit in die Statistik der Corona Fälle aufgenommen, obwohl sie kein Corona hatte. So kann man die Zahlen auch schön hoch halten.”

Erkennen kann man die Lüge hier u.a. daran, dass die Leute immer weit mehr Tote oder Personen mit Impfschäden kennen als statistisch wahrscheinlich oder auch glaubhaft ist. Auch auf die Frage nach Belegen bzw. dass man gerne Kontakt zu den Opfern aufnehmen würde, wird immer direkt abgebogen.

Manchmal ist das auch eine Lüge bei Proxy, weil sie wiedergeben, was andere Menschen ihnen erzählt haben. So ist es in manchen Zusammenhängen gang und gäbe, jedes Zipperlein zu einem Impfschaden hochzustilisieren, weil man sich gerne einredet, der Normalzustand eines Menschen wäre immer und ausnahmslos ‘gesund’.

Im Fall des Zitats und auch so mancher “mein Freund ist an der Impfung gestorben, aber jetzt zählt er zu den Coronatoten, weil die mit ihm die Statistik fälschen”-Narrative erkennt man die Lüge an den merkwürdigen Prioritäten oder unpassenden Emotionen.

Ich persönlich wäre in einer mörderischen Stimmung, würde man eine Verwandte oder die direkten Verwandten eines engen Freundes, in Gefahr bringen, in dem man sie in der Rekonvaleszenz von einer OP mit Infizierten in Kontakt bringt. Dass sie dann fälschlich in der Statistik auftaucht, wäre wirklich die allerletzte meiner Sorgen. Erst mal wäre ich damit beschäftigt dem Krankenhaus und allen Beteiligten den Arsch bis zu den Mandeln aufzureissen.

Das Problem mit dieser Art Lügnern ist, dass sie es wirklich nicht mal aus Überzeugung tun, sondern um sich wichtig zu machen. Sie bekommen Aufmerksamkeit und suhlen sich darin.

Sie reflektieren aber leider null, dass sie mit ihren Geschichten gewaltbereiten Personen, die mit der Situation nicht umgehen können, Schuldige suchen und dann auch gegen diese aktiv werden (siehe Idar-Oberstein), ein Ziel geben.
Da werden sehr oft Stories gebaut, in denen Mediziner und Pflegekräfte eine Mitschuld tragen. Und das schlägt sich dann in Angriffen auf Impfärzte oder Impfzentren nieder, als auch in steigender Gewalt gegen das Personal in Krankenhäusern und Arztpraxen.

Wir haben leider noch nicht das Ende dieser Entwicklung gesehen.

Exhibit C: The Blame Game

Das sind die Personen, die einen Schuldigen brauchen. Unter ihnen sind z.B. oft Eltern, die ein autistisches oder auf andere Art behindertes Kind haben. Sie empfinden oft Schuldgefühle und es als eine Art Makel, ein behindertes Kind zu haben und ihre Umwelt ist oft wenig hilfreich.

Sie klammern sich daher nicht selten an die Behauptung, dass Impfungen für den Autismus oder die Behinderung verantwortlich ist. Aber auf jeden Fall nicht sie!

Und sie schwören auch Stein und Bein, dass die Autismussymptome zum ersten Mal am Tag der Impfung aufgetreten sind und sich das Kind auf einmal und urplötzlich verändert habe.

Das schwören sie auch noch, wenn es handfeste, faktische Gegenbeweise gibt, wie zum Beispiel im Fall einer Familie, über die im Film Vaxxed ausführlich berichtet wird. Sie schwören, dass die Symptome erst seit der Impfung aufgetreten sind, waren aber schon Monate vorher mit dem Sohn in Behandlung und es gibt Aufzeichnungen von Autismussymptomen, die zeitlich lange vor der Impfung liegen.

Diese Menschen lügen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Es ist ihre Art, mit einer für sie unerträglichen Situation umzugehen und von ihrer Umwelt Mitgefühl zu erhalten, statt Abneigung und Hass, weil sie ein behindertes Kind haben.

“Medical records taken in the first year of life indicated that Hooker’s son had documented developmental delays before vaccination. So Hooker’s statement in Vaxxed that vaccination triggered his son’s loss of verbal ability wasn’t true.”

Berman, Jonathan M.. Anti-vaxxers (S.93). MIT Press. Kindle-Version. “

Exhibit D: Jenseits von Gut und Böse

Und dann gibt es noch die Impfgegner, die so tief in der Ideologie stecken, dass sie gar keine Hemmungen mehr haben. Da ist jedes Mittel recht, das ihre Ideologie stützt. Es geht nicht mehr um richtig, oder falsch. Es geht nur noch um ihr Weltbild und dass dieses auf gar keinen Fall ins Wanken gebracht werden darf.

Das sind die Eltern, die eine Impfung weiterhin verweigern, selbst wenn das Kind gerade und nur knapp eine Tetanusinfektion überlebt hat. (Tetanus ist wirklich eine grauenvolle, grausame Krankheit.)

Das sind die Eltern, die ihre Ideologie über das Leben ihrer Kinder stellen.

Das sind dann die Eltern, die das Bild ihres eigenen Sohnes, der sich hat impfen lassen, bei einer Mahnwache zu den Bildern der Kinder stellen, die angeblich an einer Impfung verstorben sind. Wie ein junger Mann feststellte, der sich gegen den Wunsch seiner Mutter impfen ließ:

Ethan Joseph Lindenberger
@j_lindenberger

It would seem that an antivaxx rally on 9/11 had a candle light vigil for dead children...and my picture was included

Anyway:

Ich hatte auch immer wieder Impfgegner, die sich vor mich hin stellten und mir erklärten, dass mein Leben furchtbar sein muss, weil ich bin ja Autistin. Egal wie oft ich mir verbitte, dass sie behaupten, etwas über mein Leben und dessen Qualität zu wissen und für ihre Ideologie benutzt zu werden.

Meiner Erfahrung nach finden sich unter Impfgegern Menschen, denen ihre Vorstellung von der Realität wichtiger ist, als die Realität und die deswegen keine Bedenken haben zu lügen. Weil es in ihren Augen die Wahrheit ist.

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