Auf meinen gestrigen Beitrag hin, entsponn sich auf Google Plus eine kleine Diskussion. Argumente eines Diskutanten: Die von mir genannten Punkte seien eigentlich alle kein Problem. Im Maschinenbau würden die Azubis anschließend nur einfach viel lieber studieren, weil sie auf den höheren sozialen Status schielen. Ja, und alle Unternehmen, die er so kennt stellen total viele Menschen mit Behinderungen ein, weil sie sonst ja Strafabgaben zahlen müssten und wegen des sozialen Gewissens1)Ich schließe daraus, dass sie sie also nicht einstellen, weil sie Fachkräfte brauchen und Menschen mit Behinderungen als qualifizierte Mitarbeiter schätzen.. Aber Menschen mit Behinderungen seien eben nicht für anspruchsvollere Tätigkeiten geeignet. Das sei nun mal die unbequeme Wahrheit2)Unbequeme Wahrheiten hatten wir auch gerade dank Tim Hunt. Wir erinnern uns: Frauen im Labor verlieben sich ständig in Mitarbeiter oder Mitarbeiter verlieben sich in sie und sie fangen sofort an zu flennen, wenn man sie kritisiert.. Und überhaupt, Unternehmen können nichts dafür, dass sie keine Fachkräfte finden.

Tja. Nun habe ich als Freiberuflerin wenig Probleme mit Bewerbungen oder damit einen Arbeitgeber zu finden, aber ich habe eine Peergroup von der ich das öfter mitbekomme und es gibt ja auch noch das Internet, das einem so manchen Beitrag in die Aufmerksamkeit spült. Darunter sind viele Menschen mit Behinderungen, die enorme Schwierigkeiten haben, Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu finden. Selbst wenn sie körperlich und geistig leistungsfähig sind – wie Autisten – oder wenn man einfach nur mal kreativ werden und überlegen müsste, wie Mensch X Arbeit Y eben trotz Einschränkungen ausüben könnte. In anderen Ländern geht das auch, nur in Deutschland klammert man sich an der bequemen Position ‘geht nicht’ fest.

Wie es der Zufall so will, spült mir Twitter gleich heute die vergebliche Jobsuche einer MechatronikerIN in die Timeline. Fachkräftemangel? Ich denke nicht.

Daher werde ich hier mal in Zukunft kuratieren, was mir zu dem Thema des angeblichen, aber wohl doch nicht so dringenden Fachkräftemangels vor die Füße fällt.

1. Mechatronikerüberfluss?

2. Die glücklichen 0,5%

Mittlerweile hege ich den begründeten Verdacht, dass diese unternehmensseitigen Anstrengungen notwendig sind, weil alle dieselben 0,5 % haben wollen, die nicht nur in puncto Fertigkeiten und Branchenhintergrund zu 99,5 % aufs Profil passen, sondern auch jung genug sind, nicht fortpflanzungsgefährdet, im richtigen Gewichtsbereich, 100 % körpertüchtig.

Kaltmamsell

aus Mit Ende 40 einen neuen Job suchen – große Brocken

3. Die Wünsche des Bundestags

Der Bundestag sucht auch mal wieder. Projektleiter, Erfahrung in OO, Erfahrung im Vergaberecht und Abschluss mindestens “gut”. Das ganze befristet für die Legislaturperiode und TVöD 13/14.

Bastian Blank

Dieses nette Beispiel trudelte als Kommentar auf Google+ ein. Der Bundestag möchte eine Fachkraft mit Erfahrung nicht nur in Objektorientierter Programmierung, sondern auch im Vergaberecht. Beides nicht gerade Aufgaben ohne Anspruch. Als Projektleiter trägt sie zudem Verantwortung fürs Team und die Ziele. Geboten wird die Gehaltsstufe, die eigentlich für Personen frisch von der Uni ohne Personal- und sonstige Verantwortung gedacht ist. Und die Anstellung hat man sicher – wohoo – immerhin bis Ende der aktuellen Legislaturperiode. Aber natürlich nimmt man, wenn man nur einen Klicker und einen Knopp zahlt, nicht jeden. Unter “Gut” geht gar nichts und das ist noch die Mindestanforderung.

So bekommt man garantiert die Studienkredite abgezahlt und investiert gerne in eine Familie und ein Häuschen. Nicht wahr?

4. Frauen verlassen technische Berufe im Durchschnitt nach 7 Jahren

Die Zahl der Frauen mit Ausbildung in Berufen der sogenannten ‘Männerdomänen’ ist nicht nur verhältnismässig niedrig, die meisten Frauen verabschieden sich auch bereits nach 7 Jahren und orientieren sich um. Bei dem Problem stinkt, wie so oft, der Fisch vom Kopfe her. Unter anderem finden qualifizierte Frauen keine angemessenen Jobs, weil die Kriterien dem Geschlecht des Bewerbers angepasst werden:

[…] if the male applicant for police chief had more street smarts and the female applicant had more formal education, evaluators decided that street smarts were the most important trait, and if the names were reversed, evaluators decided that formal education was the most important trait.

Rachel Thomas

Rachel Thomas

5. Fachkräftemangel in Digitalien

Mike Schnoor nimmt sich das Problem des Fachkräftemangels in neuen Berufen vor. Er verortet das Problem beim schlechten Recruiting, undurchdachten, sich gegenseitig widersprechenden Aufgabengebiete und bei der schlechten Bezahlung.

Das Problem des ominösen Fachkräftemangels liegt darin, dass Unternehmen der Digitalwirtschaft und die gesuchten Bewerber partout nicht zusammenfinden wollen.

6. Anekdoten einer Bewerberin

Mia Colt ist nach mehreren Monaten Bewerbungen schreiben der Kragen geplatzt und sie will uns an ihren Erlebnissen teilhaben lassen. Man darf gespannt sein.

7. Niemand will Mütter – Update 13. August 2021

Dieser Twitter-Thread unterstreicht sehr gut, meine Aussagen was Frauen tun, wenn sie beruflich ausgebremst werden. Nein, meistens eben nicht in den Arbeitslosenstatistiken auftauchen.

Habt ihr weitere Beispiele?

Wenn Ihr weitere Beispiele findet oder selbst einschlägige Erfahrungen gemacht habt, freue ich mich über eine Notiz in den Kommentaren

Fußnoten

Fußnoten
1 Ich schließe daraus, dass sie sie also nicht einstellen, weil sie Fachkräfte brauchen und Menschen mit Behinderungen als qualifizierte Mitarbeiter schätzen.
2 Unbequeme Wahrheiten hatten wir auch gerade dank Tim Hunt. Wir erinnern uns: Frauen im Labor verlieben sich ständig in Mitarbeiter oder Mitarbeiter verlieben sich in sie und sie fangen sofort an zu flennen, wenn man sie kritisiert.

9 Comments Fachkräftemangel, Addendum

  1. Thomas'

    Najo, TVöD 13/14 in Berlin ist – mit paar Jahren Berufserfahrung und daher z.B. dritter Stufe – ca 51k€.
    Die muss man als Informatiker in Berlin (!) erst einmal in der freien Wirtschaft kriegen.

    Und ein “gut” ist eine Abschlussnote <= 2.5. Das haben an meiner Uni 94% der Master-Absolventen.

    Reply
  2. glücklich scheitern

    Ich hab so ein Beispiel: https://gluecklichscheitern.wordpress.com/2012/09/01/qualifikation-kinderlos-wunschenswert-totale-verfugbarkeit/
    (Beim Vorstellungsgespräch in einer sozialen Einrichtung): heiml: ja, fangen wir direkt an, wollen sie 50% oder 80%?

    ich: (überrumpelt. dachte ich hör erst mal was zur einrichtung, oder werde nach meiner motivation und qualifikation gefragt). tja, theoretisch hätt ich gern die 80% (in der stellenanzeige stand genau genommen 50 BIS 80 %, was auch immer das hätte heißen sollen), aber aufgrund der tatsache, dass ich ein kleines kind habe und annehme, man wird hier schichtdienste machen (ging aus der anzeige nicht hervor) seien 50% besser.

    heiml: (wühlt in meinen bewerbungsunterlagen) ah, kind. ja ist so, bei 50% wären das zwei bis drei spätdienste pro woche und ein wochenende im monat.

    ich: ja, ok.

    heiml: ja wissen sie, bei uns wollen alle mütter in den frühdienst, von acht bis eins. wenn da jemand ausfällt, wollen alle rein.

    ich: …

    heiml: ich suche schon jemanden der zuverlässig ist.

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  4. Martina Diel

    Ich sehe es auch so, dass Unternehmen häufig *etwas* mehr Flexibilität und damit auch Risikobereitschaft beweisen dürften, wenn es um ihre Anforderungen an Bewerber geht – es muss nicht jeder Bewerber für eine Stelle x in der Branche Y mit der Hauptaufgabe A das alles schon in der Branche X mit der Hauptaufgabe A schon 2 Jahre gemacht haben, um geeignet zu sein.
    Andererseits bewerben sich viele Leute um so ziemlich alles, was auch nur ansatzweise zu passen scheint (allerdings nur bei großen und bekannten Unternehmen), sodass diese sich mit möglichst heftigen Anforderungen gegen unpassende Bewerbungen zu schützen versuchen.
    Und es gibt auch Bewerber, die z.B. schlechte Unterlagen fabrizieren, wenn dann die Einladungen ausbleiben, das alles mit dem eigenen Alter begründen.
    Oder mit anderen Worten: es ist kompliziert

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    1. Mela Eckenfels

      Ich höre wiederum gelegendlich Klagen von Personalern, dass sich vor allem Frauen nur dann auf Stellen bewerben, die genau passen, während sie die Anforderungen in den Stellenausschreibungen eigentlich eher als ‘Guidlines’ denn als ‘Rules’ sehen wollen.

      Da frage ich mich dann nur, warum man das dann nicht auch entsprechend formuliert.

      Reply
      1. Martina Diel

        Das ist die andere Seite der Medaille, ja. Frauen machen sich Sorgen, dass sie nicht gut genug wären, vor allem dann, wenn es eine echte chance gibt, dass sie den Job kriegen könnten, also bspw. wenn es um eine interne Bewerbung geht.
        Irgendwo zwischen “wahllos bewerben, mit der Schrotflinte auf alles antworten, was irgendwie rihctig klingt” und “nur das, was ich 100% sicher kann und zwar von Tag 1 an” geht’s lang.
        Manchmal sind die Anzeigen ja entsprechend formuliert – ansonsten würde ich es einfach so lesen: wenn ich 75% von den Dingen kann/gemacht habe, um die es da geht, dann passts. Die Reihenfolge der Anforderungen spielt eine Rolle, also werden die ersten 3 doppelt gewertet. 😉
        So Pi mal Daumen jedenfalls.

        Reply
  5. Pingback: Fachkräftemangel, reloaded | Feder & Herd

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