Ich lese daraus den unterschwelligen Vorwurf, Geschichte könnte im Land selbst gar nicht sachlich berichtet werden, sondern müsse immer irgendwie voreingenommen sein.
Das kann der Fall sein, ja, aber das ist kein Automatismus, sondern eine Folge der politischen und gesellschaftlichen Kultur des Landes.
Unter Trump sollten die US-Schulbücher umgeschrieben. Es sollte nur noch eine durchgehende positive Geschichte einer großen Nation erzählt werden, ohne lästige Macken, wie Sklaverei.
Wäre das besser geworden, neutraler, hätte man Mexiko die Schulbücher schreiben lassen? Mal abgesehen davon, dass sich eine Regierung, die bewusst die Geschichte verzerrt darstellen will, sich vermutlich nicht auf ein solches Arrangement eingelassen hätte. Falls doch, hätte z.b. finanzielle Abhängigkeit die Neutralität Mexikos direkt wieder zu Nichte machen können.
Ich habe in England studiert. Kolonialgeschichte dazu.
Und obwohl ich weiß, das an den englischen Schulen die Zeit des Kolonialismus als überwiegend positiv dargestellt wird[fn]Ein Umstand, der wohl zum Brexit beigetragen hat, weil viele Briten ernsthaft glauben, die ehemaligen Kolonien denken mit warmen und flauschigen Gefühlen an England und wären nur zu gerne bereit, aus Nostalgie für die tollen gemeinsamen Zeiten lieber mit ihnen Geschäfte zu machen, als mit der EU.[/fn], an der Uni habe ich das Thema in seiner ganzen Hässlichkeit kennenlernt. Ohne Rücksicht auf politische und gesellschaftliche Befindlichkeiten der eigenen Nation.
Thema waren sowohl britische Verbrechen, als auch z.b. die Rolle des Britischen Museums, das sich bis heute gegen die Rückgabe von Raubkunst stemmt.
Dort habe ich auch zum ersten Mal wirklich etwas über den deutschen Kolonialismus erfahren und den Genozid an den Herero und Nama.
Das Thema fehlt in den deutschen Schulbüchern möglicherweise auch, weil wir uns politisch nicht gerne damit beschäftigen. Aber vermutlich eher, weil das frühe 20. Jahrhundert im Schnelldurchgang abgehandelt wird, um dann sehr viel Zeit auf Nazideutschland zu verwenden.
Hätte sich das geändert, hatte Frankreich unserer Geschichtsbücher geschrieben? Das Frankreich, das ebenfalls gerne die Geschichte des eigenen Kolonialismus als Erfolgsgeschichte sieht und hässliche Aspekte ausblendet? Ich denke nicht.
Oder wären deutsche Schulbücher neutraler, hätte sie Polen geschrieben? Das Polen, das unbedingt die eigene und willige Mithilfe bei der Vernichtung von Juden unter den Teppich kehren möchte?
Ich denke nicht.
Geschichte und Geschichtsunterricht können nie neutral sein. Der erste Bias entsteht alleine schon durch die Frage, welche Themen für wichtig erachtet werden und welche man auslässt.
Das ändert sich nicht, wenn ein Nachbarland die Bücher schreibt. Dann ist die Auswahl nur eine andere und vielleicht weniger relevant für deutsche Schüler.
Wichtiger als die Auswahl der Themen ist daher, Schülerin bereits historische Methoden bei zu bringen. Ihnen zu vermitteln, sich diese Einschränkungen bewusst zu machen und kritisch damit umzugehen. Und früh zu üben, Quellen zu hinterfragen, auf den Prüfstand zu stellen und auf ihre Korrektheit hin zu überprüfen. Bzw. Ihren Kontext verstehen zu lernen.
Historiographie zu lernen, ist oft viel aufschlussreicher, als nur einfache Events in der Geschichte zu lernen.
Aus Gesprächen mit Lehrern weiß ich, dass das Erlernen der Methoden, anstatt einfaches Büffeln von geschichtlichen Ereignissen, inzwischen zunehmend an Bedeutung gewinnt und das ist doch sehr positiv.