Quora-Frage: Was sind Pro-Argumente, die für eine Impfung sprechen?
Viele stellen sich das Immunsystem wie eine magische Black Box vor, die man nur stärken muss, dann wehrt sie Krankheiten von ganz alleine ab. So funktioniert das Immunsystem aber nicht. Es muss wissen, wogegen es losschlagen darf und wogegen nicht.
Einen Teil dieses Wissens bekommt es von der Mutter mit. Wir fangen also nicht bei Null an.
Aber im Mutterleib kann auch nur weitergegeben werden, was das Immunsystem der Mutter schon kennt.
Stellen wir uns das Immunsystem doch mal wie Polizeieinheiten vor, die in ihren Städtchen für Ordnung sorgen. Die werden auf der Polizeiakademie ausgebildet — dem Mutterleib — und dann ins Städtchen an die Arbeit geschickt. Und auch wenn die Polizisten eine gute Grundausbildung haben, alle wissen, dass es neue Verbrecher geben wird, die sie noch nicht kennen und die werden neue Methoden nutzen, die die Polizisten noch nicht erkennen.
Deswegen bekommen alle nachdrücklich ans Herz gelegt, sich regelmäßig über neue Entwicklungen zu informieren.
1. Polizeireview “Whoopsie”
Im ersten Städtchen bezieht die Einheit das Revier. Das Verhältnis mit den Einwohnern ist eigentlich ganz gut. Sie beziehen mehr oder weniger regelmäßig das Update von der Zentrale, ein Paket voller Fahndungsfotos.
Leider ist Polizeiinspektor Meier der Stapel runtergefallen und beim Aufheben sind aus Versehen ein paar Bilder von der Fotobooth während der letzten Kirchweih in den Stapel geraten.
Der Wachtmeister bekommt dann den Stapel und ruft erfreut “DEN KENNE ICH DOCH!!”
Dann rast er mit drei anderen von der Wache los, verhaftet den Schuldirektor Müller und weil der sich keiner Schuld bewusst ist, und “Widerstand” leistet wird der Schuldirektor auch noch grün und blau geprügelt.
Ja, das Revier hat auch durchaus Erfolge vorzuweisen. Zum Beispiel haben sie die Nussknackerbande rechtzeitig bemerkt, gerade als die in die Stadt gefahren ist und Banken auskundschaften wollte. Die haben sie Packen geschickt.
Doch seit sie sich zu dritt auf Oma Grete gestürzt haben, weil ihr Bild aus Schusseligkeit in die Akte einer internationalen Juwelendiebin eingetragen wurde, ist das Verhältnis zwischen Stadt und Revier schwer gestört.
Dieses Beispiel wäre ein Immunsystem, das, aus welchen Gründen auch immer, falsch gelernt hat.
Es verwechselt eigentlich harmlose Substanzen, teils sogar den eigenen Körper, mit schädlichen Eindringlingen und schlägt immer mal wieder gegen die Falschen los.
Die Folge sind Allergien oder Autoimmunerkrankungen.
2. Revier “Impfungen, fuckyeah”
Auf Revier “Impfungen, fuckyeah” aus dem zweiten Städtchen, geht alles ein bisschen geordneter zu. Dort bezieht man regelmäßig die neuen Fahndungsfotos und besucht Fortbildungen.
Auch hier hat man der Nussknackerbande direkt gezeigt, wie sie möglichst schnell wieder aus der Stadt verschwindet. Als jemand Tetanustoxin in die Kanalisation gekippt hat, haben sie es neutralisiert und als ein Fahndungsfoto reinkam, das Pete von der Post sehr ähnlich sah, sind sie damit zur Post gegangen, haben das Bild mit Pete verglichen und haben sich dann entschuldigt ihn gestört zu haben.
Entsprechend versteht man sich gut mit der Stadt.
Das bedeutet nicht, dass es nicht auch mal Probleme gibt. Wachtmeister Jan, der sich um die neuen Fahndungsfotos kümmert klagt immer mal wieder über Papercuts, und Wachtmeister Ralf ist schon mal über das Kabel des Fahndungsfax gestolpert und hat sich den Daumen gebrochen.
Dieses Beispiel würde einem Immunsystem entsprechen, das bequem und (relativ) gefahrlos neue Pathogene und ihre Bekämpfung über Impfungen kennenlernt.
3. Revier “Steiner”
Und dann haben wir da noch das Revier, nennen wir es “Steiner”.
Dort hat man kurz nach der Ausbildung das Fax abgeschafft, weil die Faxemissionen schlecht für den Astralkörper sind. Und auch Post empfängt man keine, weil der Postbote beim Yoga stört und man weiß ja nie, welche Spätfolgen ein an der Hauswand angebrachter Briefkasten für das Mauerwerk haben kann.
Als die Nussknackerbande in die Stadt kommt und drei Villen ausräumt, hat Wachtmeister Hans-Jens freundlich gegrüßt und sich gedacht, dass die Dietrichs anscheinend überraschend umziehen.
Als ein eigentlich harmloser Typ, die Bank mit einer Banane und einer Clownsnase als Tarnung überfällt, ist Wachtmeister Malte völlig überfordert. Er hat seine Grundausbildung halbwegs vergessen und deswegen weiß er jetzt nicht, wie er sich verhalten soll. Um die Stadt vor dem bösen Bankräuber zu beschützen, sprengt er sich mit ihm zusammen in die Luft. Im Bankraum, in dem noch Angestellte waren. RIP.
Weil die Performance des Reviers mangels Updates und Fortbildungen nicht gut ist, entschließt sich die Stadt es zu “stärken” und kauft ihm einen Panzer und Maschinengewehre.
Als eine Gruppe Terroristen ins Revier eindringt, erkennen sie diese viel zu spät. Im folgenden Shootout mit Maschinengewehren überleben nur die zwei Polizisten, die versucht haben draußen den Panzer in die richtige Stellung zu manövrieren, um ihren Kollegen Schützenhilfe zu geben. Dabei haben sie mehrere parkende Autos und Oma Gittes Chihuahua geplättet
Dieses Beispiel wäre ein Immunsystem, das über die Grundausbildung hinaus nur bei vollem Risiko neue ‘Verbrecher’ aka Krankheitserreger kennenlernt. Auch wenn viele dieser Begegnungen relativ unblutig bleiben werden, so gibt es doch immer das Risiko, dass das Immunsystem gar nicht reagiert oder das Pathogen zu spät bemerkt und dann unangemessen und überschießend reagiert.
Außerdem wäre es eine ziemlich schlechte Idee, ein schlecht vorbereitetes, weil ignorantes Immunsystem zu “stärken”, das dann nicht weiß, wohin mit seiner Feuerkraft. (Wenn das mit dem Stärken überhaupt so ginge, wie behauptet.)
Man kann auch nur eine gewisse Zahl von Pathogenen kennenlernen, solange man nicht aktiv Infektionen provoziert.
Provoziert man Infektionen, ist man ziemlich häufig krank ( jeden Winter mehrere Wochen) und manchmal geht die Strategie auch nach hinten los.
In durchgeimpften Gesellschaften, wie ehemals der DDR, tritt das “Sudden Infant Death Syndrome” (SIDS) weit seltener auf und es gibt weniger Autoimmunerkrankungen.
Auch die gesunkene Kindersterblichkeit geht zu einem guten Teil aufs Konto von Impfungen.
Impfungen dagegen ermöglichen dem Immunsystem erstklassiges Trainung und ständige Fortbildung.
Man muss nicht erst mal durch die Hölle einer Tetanus-Infektion gegangen sein. Statt dessen holt man sich einfach das frische “Fahndungsfoto” durch eine Impfung.
Für eine Impfung spricht, nahezu egal gegen welches Pathogen, dass man fast immer einen guten Schutz bei geringen Nebenwirkungen bekommt. Impft man nicht, bekommt man möglicherweise die Krankheit und ist danach auch immun, das aber mit einem weit höheren Risiko, verglichen mit der Impfung und eben manchmal auch mit gravierenden Folgen.
Falls man zu den seltenen Fällen gehört, die schwere Probleme durch eine Impfung bekommen, kann man sich im Prinzip ausrechnen, dass die Krankheit selbst noch weit unangenehmer ausgefallen wäre.
- zur Original-Antwort