Bei diesem Beitrag handelt es sich um das Blog-Archiv eines Threads auf Twitter.
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Inhalte können inzwischen veraltet oder überholt sein.
Der Beitrag sollte immer im Kontext der Ereignisse gelesen werden, in dem der ursprüngliche Thread auf Twitter entstand.
Am Abend des 18. September 2021 wurde in Idar-Oberstein (Rheinland-Pfalz) ein 20-jähriger Student erschossen, der an einer Tankstelle als Kassierer arbeitete. Er hatte einen Kunden aufgefordert, eine Maske aufzusetzen. Dieser verließ die Tankstelle, um mit einer Waffe wiederzukehren und bei der nächsten Aufforderung, die Maske aufzusetzen, den Kassierer in den Kopf zu schießen. (Bericht der tagesschau.de)
2 Tage später, am 20. September 2021 veröffentlicht die CDU ein Wahlwerbevideo unter dem Titel “Damit die Richtung stimmt”. Darin tritt ein Querdenker mit bekannten Nazi-Verbindungen auf, der eine Bühne stürmt, auf der Armin Laschet redet. Das Voice Over zur Szene lautet: “Erst denken, dann reden. Und auch mit denen, die eine kritische Haltung haben. Ja, gerade mit denen.”
War die Veröffentlichung dieses Videos, das eine Hand zu den Querdenkern ausstreckt, so kurz nach dem Mord Absicht oder Inkompetenz? Ein Twitter-Thread:
Das Video
Absicht? Das Datum ja, die zeitliche Nähe zum Mord: Nein.
Ich habe ein paar Mal die Frage aufkommen hören, ob der Zeitpunkt der Veröffentlichung des CDU-Spots Absicht war.
Meine Vermutung ist: Ja, das Datum und den Abstand zur Wahl betreffend.
Nein, was die Verbindung zum Mord angeht.
Wer es ausführlicher will: 🧵
Mind: Ich habe nur ein wenig Erfahrung in Öffentlichkeitsarbeit und bin weit, weit davon entfernt, Profi auf diesem Gebiet zu sein.
Relativ früh in einer Kampagne dürfte sich das Team mit der Frage beschäftigen, wen man ansprechen will bzw. wen nicht. Bzw. bei einer alten Partei wie der CDU wird da sicherlich teils auf Wissen aus früheren Kampagnen zurückgegriffen. Man startet nicht jedes Mal von Null.
Wen man nicht ansprechen will: Menschen, die die CDU nur wählen würden, wenn die Hölle zufriert.
– Lohnt nicht. Ist nur rausgeschmissenes Geld.
Wen man mit relativ wenig Aufwand ansprechen will: Menschen, die auch dann nur CDU wählen würden, selbst wenn die Hölle zufriert. Also die Stammwählerschaft.
Denen muss man quasi nur die Botschaft senden, dass alles beim Alten bleibt.
Ein Video mit einem milde lächelnden Kandidaten, ein paar Bergwiesen, getragene Musik, das man für Arbeitsplätze steht, ein paar Lügen, dass man sich um die Zukunftsprobleme kümmern wird, die man vier Legislaturperioden liegen gelassen hat …
Ich vermute, diese Videos etc. sind mehr eine Erinnerung daran, dass bald Wahl ist und man doch bitte den Umweg am Wahlsonntag nach der Kirche zum Wahllokal einplanen soll, als das da irgendwer von irgendwas überzeugt werden soll.
Wen man unbedingt ansprechen will: Wechselwähler vor allem Unzufriedene. Und zwar möchte man verhindern, dass sie zur AfD oder zur FDP abwandern und stellt deswegen jeweils die Themen heraus, die man glaubt, dass die Gruppen besonders abholen.
Das geht immer ganz gut, in dem man den gemeinsamen Gegner links verortet, verspricht sich jetzt dann endlich um die Sachen zu kümmern, die man vier Legislaturperioden liegen gelassen hat, wie Digitalisierung z.B. den FDP-nahen Teil der Wechselwähler abholen.
Man verspricht sich um ein paar Nicht-Probleme zu kümmern, z.B. "Clan-Kriminalität" um den AfD-nahen Teil der Wechselwähler abzuholen, sowie, dieses Jahr ganz heiß: Gendern.
Das spricht die meisten alten Männer an, die in beiden Parteien in der Mehrheit sind.
Die Wahlkampfperiode lief für die CDU, sagen wir, nicht gut. Fast alle Parteien versuchen in der Not am rechten Rand zu fischen und die CDU hat es dieses Jahr besonders nötig, noch jede Stimme aus einem Wähler herauszuquetschen, der zum Wechsel bewegt werden kann.
Von daher denke ich, das Video war geplant und die Veröffentlichung war bereits im Vorfeld auf eine Woche vor der Wahl festgelegt. Man wollte quasi in einem Last-Minute-Versuch die Hand nach Rechts und nach Schwurbelhausen ausstrecken.
Das wollte man nicht zu früh beginnen, damit nicht irgendwelche blöden Entwicklungen in Sachen Corona die so umworbene Personengruppe wieder daran erinnert, warum sie der CDU auch ohne Merkel nicht trauen.
Man wollte auch nicht zu lange warten, so dass das Video Zeit hat, durch die Netzwerke zu sickern.
Ich gehe davon aus, dass die eigentliche Strategie so blöde gar nicht war.
Die gesamte Querdenkerszene zeigt recht deutliche Anzeichen, außerordentlich auf Schmeichelei anzusprechen.
Sie wollen wichtig sein. Sie sehen sich als die Mehrheit, die sie nicht sind. Sie überschätzen ihre eigene Kompetenz.
Sie glauben besser Bescheid zu wissen, als Experten.
Dieses Endorsement durch Laschet, diese öffentliche Anerkennung, ich gehe davon aus, das hätte wirklich genau den richtigen Ton getroffen. Trifft vielleicht immer noch den richtigen Ton.
Aber im Moment ist man vermutlich in den Netzwerken zu beschäftigt damit, sich a) über den Mord zu freuen und b) sich in die Opferrolle zu begeben und darüber zu jammern, dass man für den Mord mitverantwortlich gemacht wird, als ein Schmeichelvideo weiterzureichen.
Das wäre, vermutlich das Ziel von Laschets Team gewesen. Ein Wahlwerbungsvideo, das auch auf Telegram viral geht, weil man denkt, man ist endlich wichtig und wird endlich wahrgenommen.
Klar, hätte das auch Zunder gegeben, aber sowieso nur von Personen der ersten Kategorie. Die für diese Kampagne einfach nicht relevant sind. Relevant sind die paar potenziellen zusätzlichen Stimmen von Querdenkers.
Ich denke, bis zu diesem Punkt kann man Laschets Team durchaus zugestehen, eine gute, kalkulierte Kampagne zu fahren, für einen Kandidaten, der es ihnen nicht leicht gemacht hat.
Nur: Sie haben keine krisensichere oder krisenbewusste Kampagne gefahren.
Und damit haben wir eine Parallele zu allem, was wir von Laschet seit Beginn der Pandemie sehen. Er kann nicht wirklich mit einer Krise umgehen, wie es die Krise erfordert. Er versucht, die Spielregeln der Krise zu ändern, um damit klar zu kommen.
Und er – bzw. sein ganzes Umfeld – versuchen Krisen so lange wie möglich zu ignorieren oder wegzudefinieren. Bis sie handeln müssen oder die Krise Fakten geschaffen hat.
Mal abwarten, ob es wirklich so schlimm kommt.
In einer krisenfesten oder zumindest krisenbewussten Kampagne wäre das Video, dessen Veröffentlichung sicherlich im Publikationsplan lange fixiert war, sofort nach dem Mord sang und klanglos zurückgezogen worden.
In diesem Fall hat man es vergessen oder für schlicht nicht wichtig genug erachtet.
Entweder, weil man weiterhin glaubt, dass sich nur die Wähler daran stören werden, die die CDU ohnehin nie wählen würden.
Oder, weil man tief in der eigenen Bubbel steckt,dass ernsthaft nicht aufgefallen ist, welche Botschaft das nun, durch die zeitliche Nähe der Veröffentlichung zum Mord sendet.
Und das es vielleicht nicht mal bei den Stammwählern gut ankommt, wenn man nun die Hand zu potenziellen Mördern ausstreckt.
Aus welchem Winkel und unter welchem Aspekt man es auch betrachtet: Es wird deutlich, dass eine Bundesregierung unter Armin Laschet ein Desaster wäre.
Originally tweeted by Mela Eckenfels (@Felicea) on 21. September 2021.
Interessantes aus der Diskussion
Weitere Reaktionen aus der CDU
Inzwischen hat Armin Laschet auf den Mord reagiert. Und sagen wir: es hätte auch diesmal besser laufen können.
Zitat: “Diese Gewalt wollen wir in unserem Land nicht. Wir verurteilen diese Aggression und fordern jeden auf das zu lassen.”
Mich hat diese — im wahrsten Sinne des Wortes — lasche Aussage an folgende Filmszene erinnert. Nur leider ist der Anlass in diesem Fall real und alles andere als lustig.
Anscheinend nicht nur ich:
Christina Dongowski findet die Worte, die auch meine Fassungslosigkeit gut ausdrücken.