Erst mal der rechtliche Hintergrund:
Alles, was man in Deutschland in den Müll wirft, gehört einem noch. Das heißt, man hat den Besitz nicht dadurch aufgegeben, dass man etwas weggeworfen hat. Man übergibt ihn den Verwertungsgesellschaften mit einem bestimmten Auftrag: Ihn auf die eine oder andere Weise zu vernichten.
Es ist also nicht so, dass man einfach Dinge aus einer Mülltonne entnehmen und weiterverwenden darf. Da ist tatsächlich Diebstahl.
Allerdings gilt das nicht bei Straßen-Sperrmüllsammlungen. Der Müll ist nicht in einer Tonne oder einem Container verpackt, sondern steht im offenen Straßenland und darf daher mitgenommen werden. Wer sichergehen will, dass Menschen den Sperrmüll nicht mitnehmen und z.B. weiterverkaufen, muss damit selbst zum Wertstoffhof fahren.
“Auch Müll hat einen Besitzer” Deutschlandfunk Nova.
Das macht auch Containern, also die Entnahme von noch essbaren Lebensmitteln aus den Mülltonnen von Supermärkten, zum Diebstahl.
Zweitens stehen diese Mülltonnen meistens nicht auf der Straße oder auf ungehindert zugänglichen Wegen, sondern auf einem abgeschlossenen Gelände. Um an diese zu gelangen muss man z.B. einen Zaun überwinden oder sich schlicht auf ein fremdes Grundstück begeben. Das ist Hausfriedensbruch oder zumindest unberechtigtes Betreten, wenn nicht gar Einbruch.
Gut, diese zwei Probleme könnte man dadurch umgehen in dem Supermärkte Lebensmittel nicht wegwerfen, sondern öffentlich zugänglich “zum Mitnehmen” ablegen. Aber …
Die Haftungsfrage: Die meisten Menschen, die containern, gehen sehr bewusst und achtsam mit den Lebensmitteln um, aber zumindest meiner Erfahrung nach, gehen sie auch Risiken ein, die ich persönlich nicht eingehen würde.
Denn bei Lebensmitteln aus dem Supermarktcontainer ist auf jeden Fall die Kühlkette bereits unterbrochen.
Wenn sich also wirklich jemand eine üble Lebensmittelvergiftung an containertem Essen einfängt oder sogar daran stirbt, gibt es die Haftungsfrage: die Wahrscheinlichkeit, dass der Supermarkt haftet, weil er die verdorbenen Lebensmittel nicht hinreichend gesichert aufbewahrt hat, ist hoch.
Das mag nun einigen übertrieben und überbürokratisch vorkommen und zu wenig ‘frei’, aber sehr viele Gesetze und Regeln wären nicht notwendig, wenn Menschen in erster Linie vernunftgesteuert handeln würden. Dass das nicht der Fall ist, zeigen uns die Tide-Pod-Challenge oder die Zimt-Challenge.
Faktisch fällt der Umgang mit potenziell verdorbenen Lebensmitteln unter das Verhaltensimmunsystem und das ist leider bei vielen Menschen nicht sonderlich ausgeprägt, wie man auch während der Pandemie sehen konnte.
Auch variiert der Geruchs- und Geschmackssinn bei Menschen stark. Während einige bereits schmecken oder riechen, dass die Milch morgen nicht mehr genießbar sein wird, können andere den Verderb erst schmecken, wenn Lebensmittel die Schwelle zur Ungenießbarkeit längst überschritten haben.
Dann gibt es kulturelle Dogmen, wie “es wird gegessen, was auf den Tisch kommt” die das Verhaltensimmunsystem bei manchen Menschen abschalten und sie sogar bei deutlich ungenießbaren Lebensmitteln weiteressen lässt: “Vergiftung:Mann stirbt an Garten-Zucchini“
Dem, und den gravierenden Folgen, die verdorbene Lebensmittel für Menschen, besonders Kinder, haben können, tragen die deutschen Gesetze zur Lebensmittelsicherheit Rechnung.
Das kann man, erneut, überbürokratisch finden, aber Lebensmittelvergiftungen gehörten früher zusammen mit Infektionskrankheiten zum Hauptlebensrisiko von Menschen und auch die gesellschaftlichen Folgekosten (Lebertransplantationen z.B.) können enorm sein. Hier werden, wie bei Infektionskrankheiten, die Risiken bei Weitem unterschätzt, weil dank Kühlschrank in jedem Haushalt ernste Lebensmittelvergiftungen, die über einen Tag Übelkeit hinausgehen, weitgehend der Vergangenheit angehören.
Dann sind da noch die wirtschaftlichen Interessen:
Viele Supermärkte und andere Lebensmittelläden geben Reste z.b. an die Tafel ab. (Die Tafel ist allerdings eine problematische Einrichtung. Aber das führt hier zu weit.) Die Tafel nimmt im Allgemeinen aber nichts, das über dem Haltbarkeitsdatum ist oder das bereits deutliche Spuren von Verderb zeigt, z.B. bei Obst und Gemüse.
Entsprechend ist viel, das bei Supermärkten im Müll landet, über dem Haltbarkeitsdatum. Was bei Trockenware oder haltbaren Lebensmitteln nicht viel ausmacht.
Supermärkte haben davon, dass die Leute, die bei der Tafel kaufen, definitiv bedürftig sind und sich keine Lebensmittel zu normalen Preisen gekauft hätten. Das trifft auf viele Containernde nicht zu. Die machen das zwar teils auch pragmatisch um Geld zu sparen, viele FoodSaver die ich kenne, machen das aber aus Überzeugung und nicht weil ihnen das Geld fehlt.
Das Geld fehlt aber dann den Unternehmen, denn die hätten schon ganz gerne, dass man tagsüber zu regulären Preisen kauft anstatt Nachts zu containern. Schließlich muss das Weggeworfene ja auch wieder ersetzt werden und zwar nicht aus den Müllcontainern des Großhandels.
Viele Supermärkte bieten auch schon längst Lebensmittel, die nahe des Verfallsdatums sind, stark vergünstigt an. Diese findet man in einem gesonderten Regal im Kühlbereich zum Beipspiel. Der Vorteil hier: Es ist zwar nicht kostenlos, aber die Kühlkette wurde auch nicht unterbrochen.
Dennoch arbeiten einige Lebensmittelhändler inzwischen mit organisierten Food-Savern zusammen. Das ist auch quasi containern, aber in legal.
Allerdings gibt es natürlich auch Regeln, die unsinnig sind und dem Ziel, Lebensmittelverschwendung zu vermeiden, im Weg stehen. Z.B. “Steuer-Irrsinn: Bäcker muss für Brot-Spende zahlen“
Aber auch hier ist Besserung in Sicht:
“Gegen die Lebensmittelverschwendung — Lebensmittel spenden statt wegwerfen“