Nun, im ersten Fall erkrankt ein großer Teil der Bevölkerung und im zweiten Teil nicht.
Man muss den Gedanken, sich mit einer Krankheit zu infizieren um sich vor der Krankheit zu schützen, auch erst mal ein bisschen einsickern lassen. Denn — genau — das ergibt keinen wirklichen Sinn. Wenn man alle potenziellen Nachteile einer Infektion in Kauf nimmt, um hinterher die Krankheit nicht mehr zu bekommen … das hat etwas davon, den Hund die Torte fressen zu lassen um zu verhindern, dass der Hund die Torte frisst, sobald man das Zimmer verlassen hat.
Was das aber immunologisch bedeutet, hängt vom Pathogen ab. Z.B. kann das Ergebnis bei einer asymptomatischen Polio-Infektion eine lebenslange Immunität sein, während man die Immunität durch die Polio-Impfung mehrfach im Leben auffrischen muss.
Aber die Wahrscheinlichkeit, eine lebenslange Lähmung zu erleiden, ist nun mal geimpft verschwindend gering.
Ähnlich Masern, die eine lebenslange Immunität gegen einen neuerlichen Ausbruch der Masern bewirken, während auch hier die Impfung aufgefrischt werden muss.
Allerdings macht die Masernerkrankung mitunter SSPE und die Impfung eben nicht.
Bei den Masern ist der immunologische Unterschied noch einfacher zu erklären. Das Masernvirus ist auch abgesehen von der Fähigkeit sich im Körper zu verstecken und später eine immer tödlich verlaufende neurologische Infektion zu verursachen, ziemlich fies. Das Virus löst nämlich quasi eine temporäre Immunsuppression aus, inklusive einer Art Amnesie des Immungedächtnisses. D.h. was das Immunsystem eines Kindes (meist erkranken ja Kinder) bis zur Infektion an Pathogenen zu erkennen gelernt hat, kann durch eine Maserninfektion wieder vergessen werden. Quasi ein Reset auf Werkseinstellungen.
Man geht daher heute davon aus, dass das Masernvirus, durch diese negative Wirkung aufs Immunsystem, am Entstehen vom plötzlichen Kindstod beteiligt sein könnte. Gesellschaften, die gegen die Masern durchgeimpft sind, habe eine signifikant geringere Rate an SIDS.
Aber wir sind hier ja in “Corona Diskussion” und bei SARS-CoV-2 ist der Unterschied nicht ganz so klar zu erkennen.
Weder eine Infektion, noch eine Impfung sorgt bisher für lebenslange Immunität.
Forschung an der “Super immunity” aka Impfung + Infektion ist noch nicht weit genug. Ob die Menschen, die eine extrem hohe Zahl an Antikörpern aufweisen, tatsächlich auch auf längere Sicht hin besser geschützt sind, ist noch nicht klar. Das ist aber auf jeden Fall eine interessante Sache.
Bei der Durchseuchung gibt es einen sehr deutlichen Nachteil, der aber erst mal nichts mit Immunologie zu tun hat. Ein sehr ansteckendes Pathogen plus eine immunologisch naive Bevölkerung. Viele Menschen können sich in sehr kurzer Zeit anstecken. Davon wird die Mehrheit allenfalls leichte Symptome haben. (Wie auch über 90% bei Polio asymptomatisch bleiben oder nur leichte Symptome haben. Das ist also _kein_ Zeichen es mit einem harmlosen Virus zu tun zu haben.)
Die Mehrheit derer, die deutliche Symptome haben, haben einen “milden” oder “leichten” Verlauf. Und um das richtig einzuordnen: ein leichter Verlauf sind alle Verläufe, die noch ohne Sauerstoff auskommen.
Das heißt aber dennoch, dass man ein bis zwei Wochen krank zu Hause liegen kann. Da ein kleiner Anteil einer großen Zahl immer noch eine große Zahl ist, kann es bei einer schnellen Durchseuchung lokal, regional oder sogar überregional zum Zusammenbruch von Infrastruktur kommen.
50% und mehr des örtlichen Energieversorgers sind erkrankt? Tja, fat chance dass da nun jemand rausfährt, Wartungen durchführt und erkennt, das ein wichtiger Teil schnell ausgetauscht werden muss, bevor es zu einem Stromausfall im Gebiet kommt.
Oder dass bei einem ähnlichen Krankenstand noch genug Feuerwehrleute da sind, um mehr als einen Mülltonnenbrand zu löschen.
Aber zurück zur Frage, was den _immunologischen_ Unterschied macht.
Es ist, auch und gerade durch die verbreitete Desinformation, der Eindruck entstanden, dass es sich bei SARS-CoV-2 quasi um ein Virus light handelt. Das Coronaviren, weil einige dieser Viren als Erkältungsviren endemisch sind, keine große Sache ist. Das könnte falscher nicht sein.
Das sieht man schon, wenn man sich MERS mit der Sterblichkeitsrate von 40% ansieht. Oder SARS 1 mit einer von 10%. Oder mal in Richtung feliner Coronaviren sieht, bezüglich FIP.
Auch SARS-CoV-2 hat bisher vielfach eine ziemlich hässliche Fratze gezeigt. Es ist zwar ein Virus, dass sich auf respiratorischem Weg verbreitet, aber eigentlich löst es eine Gefäßerkrankung aus und schädigt Organe – darunter auch das Hirn – auch bei an sich milden Verläufen.
Das führt in manchen Fällen zu Long-Covid oder Neurocovid, in anderen Fällen dazu, dass eine nun lebenslange Behinderung oder chronische Krankheit verursacht wird.
Es gibt auch Fälle — zum Glück nicht viele — in denen Menschen nicht an Covid-19, sondern an den Folgen von Long-Covid gestorben sind.
Immunologisch scheint die Impfung einen etwas robusteren Schutz zu geben, als die Infektion und das ist, verglichen mit den obigen Beispielen, schon durchaus außergewöhnlich. Leider sind die Risiken von Long- und Neuro-Covid bei geimpften Personen nur reduziert, wenn es zu einer Durchbruchsinfektion kommt.
Ebenfalls hat sich leider die Hoffnung zerschlagen, dass eine dreifache Impfung dann einen anhaltenden Schutz bedeuten könnte. Sie wurde durch Omikron pulverisiert.
Weiterhin findet man Geimpfte aber unterproportional auf den Intensivstationen oder im Leichenschauhaus. Und das spricht deutlich für eine Impfung, statt das volle Risiko einzugehen und sich durch “Durchseuchung” gegen das Virus zu schützen. Dass das bei diesem Virus _nicht_ _geht_ zeigen schon die Beispiele von Manaus und Indien.
Um das abzuschließen:
Eine Durchseuchung ist ein unkalkulierbares Risiko. Eine Durchimpfung ist nicht risikofrei, aber es ist ein kalkulierbares und deutlich geringeres Risiko und daher der Durchseuchung vorzuziehen.