Mir ist vorhin in einem Kommentar auf Quora etwas der Kragen geplatzt …
… aber ich möchte das nicht alleine dort im Kommentar belassen. Denn als Historikerin ist das Verhalten ist die vorherrschende Apathie, der Unwille, Wissen, das wir haben, auch anzuwenden, und Mittel, die wir haben, auch einzusetzen, einfach nicht mehr verstehbar.
Das ist aus meiner aktuellen Recherche. Aus einer Zeitung vom 24. Januar 1922. Vor 100 Jahren.
Knapp 400 Tote durch Lungentuberkulose pro Woche. Im November. 9 Jahre vor der Entdeckung des Penizillins.
Das sind die Covid-19 Todeszahlen von Mitte Juni bis Mitte August 2022.
Die Einwohnerzahl Deutschlands ist seit damals von rund 62 Millionen um nur etwas über 20 Millionen Menschen auf 83 Millionen angewachsen. UND wir wissen, mit welchem Pathogen wir es zu tun haben und wir WISSEN was wir alles tun können. Wir haben Medikamente, Intensivmedizin, Beatmung, Masken, Luftfilter.
Und dennoch diese Zahlen. Woche. Für. Woche. Im Hochsommer.
Damals suchte man fieberhaft nach Mitteln und Wegen, was man gegen diese Krankheitslast tun kann. Heute haben wir die Mittel, wir kennen die Wege und wir entscheiden uns nichts zu tun. Weil wir es für zu mühsam empfinden. Weil wir die Opfer für verzichtbar halten. Weil das Sterben sauber und weit weg von uns im Krankenhaus passiert.
Mich macht diese Apathie einfach nur noch fassungslos.
Ach, noch eine Bemerkung an der Seite: Die oben verzeichneten Todeszahlen der Influenza: 33 Personen pro Woche im November 1921.
Nochmal: Wir reden hier vom November 1921. Das bedeutet, die tödliche 2. Welle der Spanischen Grippe (Oktober/November/Dezember 1918 in Deutschland) liegt genau 3 Jahre zurück.
Statistiken zeigen, dass sich die Todeszahlen der Influenza erst 5 Jahre nach dem 1918 wieder auf das Vor-Pandemie-Niveau normalisiert hatten. Wir reden bei 33 Todesfällen pro Woche also immer noch von einer Grippesaison, die leicht stärker als üblich ist.
Nur, falls noch jemand weiterhin behaupten möchte, dass Covid-19 “auch nur so eine Grippe” ist.
- Link zum Original-Kommentar (Wahrscheinlich nur mit Quora-Account zugänglich.)
Ich habe inzwischen die Hoffnung und vor allem den Glauben aufgegeben, dass Menschen aus der Vergangenheit lernen – und ich arbeite in einer Gedenkstätte.