Mit einer Frage ist es nicht getan. Genauer gesagt, es gibt “die eine” geschickte Frage nicht, mit der man einen Betrüger entlarven kann.
Tatsächlich ist es eine kleine Kunstform, aber eine, die man lernen und trainieren kann.
Vor allem braucht die Abwägung, ob jemand Experte oder Scheinexperte ist, aber Zeit, Aufmerksamkeit und aktive Beschäftigung mit dieser Frage. Verkürzende Medienformate können die Entscheidung und Unterscheidung erschweren.
Um eine kurze These aufzustellen:
Echte Experten sind in der Lage ihr Thema klar und verständlich zu kommunizieren und ihre Aussagen in den relevanten Kontext einzuordnen, wie auch ihren Erkenntnisprozess transparent zu machen. Scheinexperten arbeiten mit Worthülsen, Rhetorik und stellen weitschweifende Behauptungen auf, ohne einen nachvollziehbaren Erkenntnisprozess. Sie garnieren ihre Aussagen mehr mit Zitaten oder namentlichen Erwähnungen wichtiger Personen, als sich damit zu befassen, Inhalte zu vermitteln. Auch (und besonders) bei relevanten und informierten Nachfragen, weichen sie aus oder gehen in den Angriff über.
Experten vermitteln Wissen. Scheinexperten erfüllen Bedürfnisse.
Um echte Experten von Scheinexperten unterscheiden zu können, muss man sich daher auch die eigenen Bedürfnisse bewusst machen.
Ein paar Anhaltspunkte für Experten:
- echte Experten sind zurückhaltend mit voreiligen und generalisierenden Aussagen
- echte Experten kommunizieren Unsicherheiten, Unklares und Lücken im vorhandenen und etablierten Wissen
- echte Experten gehen offen mit ihren eigenen Wissenslücken um, sie müssen nichts beweisen, nichts vorgeben, denn sie sind ja Experten
- echte Experten nutzen präzise Sprache
- echte Experten verzichten auf rhetorische Tricks
- echte Experten können ihr Wissen auf dem Level von Mit-Experten kommunizieren, es aber ebenso so umformulieren, dass es ein Durchschnittsbürger versteht und immer noch sicher auf dem Niveau eines Kindes vermitteln.
- echte Experten beherrschen ihr Fach soweit, sich nicht hinter Phrasen, unverständlichem Fachchinesisch und Worthülsen verstecken zu müssen
- wenn echte Experten von etabliertem Fachwissen abweichen, können und werden sie es _sehr_ gut begründen
- echte Experten respektieren Kollegen und werden diese nicht kleiner machen, um sich selbst größer wirken zu lassen
- echte Experten können Auskunft über den Weg ihres Erkenntnisgewinns geben
- echte Experten geben nicht nur Antworten, sondern sie helfen dem Gegenüber auch diese Antworten zu verstehen.
- echte Experten zeigen den Kontext des Themas auf, soweit er zum Verständnis nötig ist
- echte Experten begrüßen interessierte und relevante Nachfragen und werden sich bemühen, diese zu beantworten
- die Einschränkung hier, weil eben Nachfrage auch nicht Nachfrage sein muss und es immer häufiger Verschwörungsschwurbler gibt, die mit Kamera, Mikrofon und absolut an den Haaren herbeigezogenen, sinnlosen, nicht-relevanten oder gar beleidigenden Fragen versuchen Experten zu ‘demaskieren’. Auf sowas muss niemand zurückhaltend oder auch nur höflich reagieren. Siehe das folgende Video:
Ein paar Anhaltspunkte, einen Scheinexperten vor sich zu haben:
- Scheinexperten wirken auch in unsicheren oder unklaren Situationen sehr früh sehr sicher und überzeugt bzw. überzeugend. Das ist nämlich der Haupt-Verkaufsvorteil den ein Scheinexperte hat. Er kann zwar kein echtes Fachwissen bieten, aber er kann Überzeugung und Sicherheit bieten, die Experten nicht bieten können, weil sie sie nicht haben. Beispielsweise:
- Ein Vulkanausbruch mit schweren Erdbeben. Ein Experte und ein Scheinexperte werden gefragt, ob eine bestimmte Stadt sicher ist oder nicht:
- Scheinexperte: Die Stadt ist absolut sicher. Bei den letzten 5 Ausbrüchen des Vulkans gab es dort keine Auswirkungen und überhaupt schaden Vulkane dieser Größenordnung großen Städten nur sehr selten.
- Experte: Die Ausbrüche in der Vergangenheit haben die Stadt zwar jedesmal verschont, aber bei diesem Ausbruch sehen wir ein ganz neues und bisher nie dagewesenes Muster. Was sich aufbaut scheint jetzt schon wesentlich stärker zu sein als alle Ausbrüche bisher. Von daher können wir zu diesem Zeitpunkt noch keine definitive Aussage machen, ob die Stadt sicher sein wird.
- Ein Vulkanausbruch mit schweren Erdbeben. Ein Experte und ein Scheinexperte werden gefragt, ob eine bestimmte Stadt sicher ist oder nicht:
- Daher auch: Scheinexperten vermitteln wenig bis kein Wissen, aber sie erfüllen Bedürfnisse, wie z.B. das Bedürfnis nach Beruhigung und Sicherheit in einer in der Realität unsicheren und unübersichtlichen Situation.
- Scheinexperten sprechen Emotionen an, statt Inhalte. (Ergänzung von @SunnyGe75)
- Wenn Scheinexperten etabliertem Wissen widersprechen, begründen sie dies, anders als Experten, nicht besonders gut auf einer sachorientierten Ebene. Statt dessen greifen sie etablierte Institutionen oder ihre Kritiker an.
- Ein Scheinexperte würde sich zum Beispiel darauf berufen, dass an Universitäten nur “Schulwissen” gelehrt würde oder “die Pharmaindustrie” seine Forschung nicht fördern würde, weil sie damit kein Geld machen könne.
- Inhaltliche Aussagen sind schwer oder nicht verständlich.
- Während Scheinexperten immer schnell dabei sind, sichere Ergebnisse zu kommunizieren, sind sie in ihrer Sprache vage, schwammig und ausweichend. Sie verzichten auf präzise Formulierungen, auf die man sie hinterher auch festnageln könnte.
- Scheinexperten machen ihren eigenen Erkenntnisprozess nicht transparent.
- Vor allem, weil sie tatsächlich keinen eigenen Erkenntnisprozess haben, sondern sich an bereits vorgefassten Ideologien, Überzeugungen oder Zielen orientieren, die wenig mit ihrem Fach und ihrer Aufgabe zu tun haben.
- Scheinexperten können das Thema nicht verständlich auf dem Niveau eines Normalbürgers oder eines Kindes erklären. Sie sind in dem Wissen selbst nicht sicher genug, um umdenken zu können.
- auch sehr wichtige und weitreichende Aussagen stehen alleine. Es wird verzichtet ihren Kontext oder Zusammenhänge zu vermitteln und damit wird auch auf das Verstehen und Erfassen durch das Gegenüber wird verzichtet. Der Zuhörer muss glauben, statt zu verstehen.
- z.B. Sucharit Bhakdi, der behauptete, der PCR-Test könne keine Infektionen nachweisen … eine Behauptung, die dann von seinen Anhängern und anderen leichtgläubigen Menschen so immer weitergetragen wurde, ohne Verständnis der Zusammenhänge oder (der Falschheit) der Aussage selbst.
- Scheinexperten versuchen Zuhörer auch ohne vorherigen Anlass zu verunsichern, z.B. in dem sie ihnen zu verstehen geben, dass sie nicht in der Lage wären ein Thema zu erfassen.
- Scheinexperten bauen häufig Zitate “großer Männer” in ihre Aussagen ein oder erwähnen die Namen wichtiger Personen im Zusammenhang mit ihren Aussagen oder ihrer eigenen Position. Die Strategie nennt sich auch Eminenz statt Evidenz. Wenn die Fakten zu schwach sind, wird versucht das fehlende Fundament durch “wichtige Personen sind der gleichen Ansicht” zu untermauern.
- Scheinexperten werden z.B. häufig als “renommierter Wissenschaftler sagt” angekündigt oder zitiert. Das Renommee wird dann im Fortgang nicht belegt oder begründet. Die Phrase “renommierter Forscher” dient bereits als Beweis.
- Scheinexperten sprechen abwertend über andere Experten auf dem gleichen Gebiet, um sich als einziger richtiger Experte zu empfehlen. Sie können ihre Expertise nicht für sich alleine sprechen lassen, sondern müssen das Gegenüber aktiv darauf aufmerksam machen, dass sie der beste Experte sind. Echte Experten haben es nicht nötig, sich selbst aufzupolieren, in dem sie andere niedermachen.
- Scheinexperten reagieren schnell dünnhäutig. Auch bei relevanten und informierten Nachfragen gehen sie oft in den Angriff über und werden gegenüber dem Fragesteller persönlich. Nachfragen sind für sie spürbare Kritik an ihrer Expertise (der Eminenz). Hinterfragen wird ebenso als persönlicher Affront gewertet, als auch als Gefahr, die deflektiert werden muss, weil andere erkennen könnten, dass das Fachwissen nicht sehr tief reicht.
- Beispiel: ein Lehrer erklärt etwas. Ein Schüler stellt eine Verständnisfrage. Der Lehrer nennt den Schüler einen Dummkopf, manchmal Schlimmeres. In der Zukunft werden auch andere Schüler sich Fragen nach Möglichkeit verkneifen. Der Lehrer ist tatsächlich entweder fachlich nicht gut und spult nur das Material ab. ohne es selbst je durchdrungen zu haben oder er ist didaktisch schwach. Jedenfalls kein guter Lehrer bei dem die Schüler viel mitnehmen werden.
- Scheinexperten arbeiten mit Worthülsen und rhetorischen Tricks. Ihre Aussagen klingen wichtig, sind aber in Wirklichkeit banal.
Scheinexperten erkennen lernen. Beispiele.
Beispiele zum letzten Punkt, denn es ist wichtig, zu lernen, rhetorisch geschickte Nullaussagen als solche zu erkennen.
Beispiel 1: Dr. Ruja.
Hier vor allem auf die kurzen Snippets ihrer Reden achten, z.B. ab Minute 10:39. Was sie sagt, hat eigentlich keinen Inhalt. Aber es lässt ihre Zuhörer sicher und gut fühlen. Es ist reine Rhetorik.
BBC Sounds Podcast “The Missing Cryptoqueen”. Folge 1: “Dr. Ruja”
Beispiel 2: Elizabeth Holmes
Die Gründerin der High Tech Firma Theranos (eher des High Tech Scams) hatte eine Idee, die technisch unmöglich in diesem Universum umzusetzen war, da sie schlicht auch Naturgesetzen widersprach. Dennoch schaffte sie es mit Rhetorik und gut klingenden Nullaussagen eine Menge wichtiger Investoren anzuziehen (und auszunehmen).
Elizabeth Holmes and the Language of Plausible Deniability
Beispiel 3: How to sound smart.
Dieses lustige Video zeigt einige der häufigsten rhetorischen Tricks, mit denen man so klingt, als würde man etwas wichtiges sagen ohne etwas zu sagen.
- Zur Original-Antwort
Zum Weiterlesen
Hinweise, wie dieser Text zu benutzen ist. Bzw.: wie nicht.
Mein Talk, der sich mit den Grundlagen der (medialen) Informationsbewertung beschäftigt:
Mein Material, das bei der grundlegenden Informationsbewertung helfen kann: