Ich glaube, ich muss mal wieder was zur GWUP schreiben, auch wenn ich ja eigentlich das Thema ad acta legen wollten. Buckle up, Buttercup.
Die GWUP geht auf Neumitgliederfang und für die gibts als Bonus ein kostenloses Buch dazu. Welches Buch mag das sein? So als Organisation für kritisches Denken?
Ist es ein Buch, das genau dieses kritische, rationale Denken lehrt?
Da gäbe es ja so ein paar Kandidaten, wie:
Oder ganz neu, von Jens Foell:
Es wird kaum eine Überraschung sein, dass es keines dieser Werke ist. Statt dessen ist es:
- Gefangen in der Opferrolle: Warum Wokeness scheitert
Was einem gleich am Titel auffallen kann, ist, dass die Leser hier mitnichten dazu eingeladen werden, ihre Fähigkeiten als Mitglieder einer skeptischen Organisation zu schärfen … nein, hier werden Antworten auf eine “Warum?”-Frage angekündigt.
Der Blurb
Schauen wir uns den Blurb des Buchs an. Was steckt hinter dem Titel?
Das fängt schon mal gut mit der Frage an, ob wir in einem Patriarchat leben. Wenn das im Buch bereits zur Debatte steht, kann der Rest nur noch spassiger werden.
Die Erkenntnisse des Herrn Doktoranden seien alarmierend.
Zusammengenommen mit Behauptungen dass “junge Menschen” “ängstlicher” und “unzufriedener” würden, der Behauptung “Wokeness”, aber vor allem auch der “Ruf nach politischer Korrektheit” würde “Schaden anrichten” … ich fasse den Rest mal grob zusammen: Die verderben unserer Jugend und machen sie krank und pervers!!!
Damit befinden wir uns rhetorisch bereits ganz tief im roten Bereich der “Moral Panic” wie wir sie von der Lesesucht, über den Comics Code, und die “Schwule verderben die Jugend”-Panik, über die D&D-Satanismus-Panik, über die Computerspiele-machen-Mörder-Panik bis hin zur “Digitalen Demenz”-Panik kennen.
Was zwischen den Zeilen mitschwingt:
- gesellschaftliche Aushandlungsprozesse sind böse
- wie es ist, ist es gut und zwar für alle!
- es liegt nicht an struktureller Ungerechtigkeit sondern nur an DIR SELBST! Du bist schuld, wenn Du nicht den Hinteren zusammenkneifst und mit der Gesellschaft klar kommst, wie sie eben ist. Wenn Du was anderes denkst, bist du gefährlich!!!
Mit andere Worten, während Stella Young das Problem zwischen struktureller Ungerechtigkeit und der richtigen Einstellungen so zusammenfasst “No amount of smiling at a flight of stairs has ever made it turn into a ramp“, möchte uns der Herr Doktorand verdeutlichen, dass uns der Abbau bestehender, struktureller Ungerechtigkeit sowohl persönlich, als auch als Gesellschaft schadet.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, welche Gruppen — abgesehen vielleicht von der FDP — sonst noch genau dieses Liedchen singen. Genau: Die gesamte Schwurbel- und die Coachingbranche. Denn die verdienen ja leider am Abbau struktureller Ungerechtigkeit gar nichts, am verzweifelten Versuch von Menschen, sich für eine unpassende Gesellschaft passend zu machen, aber sehr viel.
Das Cover
Schauen wir uns als nächstes die Bildsprache des Covers an.
Ganz offensichtlich möchte das Cover eine Person zeigen, die sich in einem offenen Käfig befindet, aber aus eigenem Antrieb da nicht raus will.
Allerdings sitzt dieser Käfig dort, wo man den Kopf eines Menschen vermuten würde und darin befindet sich ein Vogel. Was das Bild also, egal ob absichtlich oder unterbewusst auch noch vermittelt:
- “die haben einen Vogel” — Abwertung eines weltanschaulichen Gegenübers als irrational und nicht ganz richtig im Kopf
— genau die gleiche Rhetorik also, wenn ein Nikil Mukerji “Wokeness” mit Esoterik vergleicht. Damit wird definiert, dass man sich mit den Inhalten einer anderen Weltanschauung beschäftigen muss, sogar nicht einmal darf
— (Was nebenbei alle Weltanschauungen kennzeichnet, denn Menschen sind nun mal keine rationalen Wesen und auch ihre Sicht auf die Welt nicht. Das Problem entsteht, wenn dies isoliert einer Weltanschauung unterstellt wird, während man für sich in Anspruch nehmen möchte, komplett rational zu agieren und damit ‘höherwertig’. Ja, wir bewegen uns damit rhetorisch in den Bereich der ‘natürlichen Überlegenheit‘.) - das Bild nimmt der dargestellten Person das Gesicht und damit das Person-Sein
- das Bild entmenschlicht, dehumanisiert.
Dass “Wokeness” in Regenbogenfarben daherkommt, zeigt dann auch worum es wahrscheinlich im Kern gehen wird: um Geschlechtervielfalt, bzw. gegen diese.
Womit wir, erneut, rhetorisch bei Debatten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts angekommen wären und der Behauptung, dass Homosexuelle unsere Kinder verführen und verderben würden.
Auch der Begriff der “politischen Korrektheit” ist aus dieser Zeit importiert.
Der Autor und seine Heldenreise
Dann lasst uns doch als nächstes Mal einen Blick auf den Herrn Doktoranden werfen. Der taucht z.B. in Videos auf wie “Feminismus im Faktencheck” in dem sich zwei Männer(!) darüber unterhalten, warum wir keinen Feminismus brauchen.
Im Blurb des Videos wird der Gast folgendermaßen angekündigt: “Varnan war früher linksextrem bei der Antifa!“
Lasst uns das doch mal auspacken.
- Er sei linksextrem gewesen — gehen wir nach der Extremismusdefinition, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz verwendet wird, hat er sich also gegen die FDGO gestellt?
- er “war bei der Antifa” — das klingt danach, als sei die “Antifa” ein Verein dem man beitreten kann und dann ein definiertes Mitglied ist und nicht ein loser Verbund Menschen, die sich in einem ähnlichen sozialen Umfeld mit gemeinsamen politischen Zielen bewegen.
- aufgebaut wird hier eine “vom Saulus zum Paulus“-Persona. Die angebliche “Mitgliedschaft” bei “der Antifa” soll seinen heutigen Aussagen mehr Gewicht verleihen, weil er ja anscheinend tiefergehende Einsichten in deren Denkweise besitzt.
- dabei wird der typische Spin verwendet, denn man von konservativen Kreisen bis in die extreme Rechte findet, die Antifaschismus mit Linksradikalismus oder Linksextremismus gleichzusetzen versucht und so ebenfalls versucht, diese Haltung, also die Haltung eines jeden anständigen Menschen, zu diskreditieren.
Weiter unten wird in den Kapitelüberschriften dann zu “linksradikal” umgeschwenkt.
Der Verlag
Aber dann lasst uns nochmal einen anderen lustigen Abstecher machen. Lasst uns den Verlag ansehen, der das Buch herausgebracht hat:
Erschienen ist das Buch im Eulogia Verlag. Eine Eulogie ist ein Segensspruch und das ist im Zusammenhang mit der sich ansonsten deutlich atheistisch ausrichtenden GWUP schon ein wenig ironisch. (Nachträglicher Hinweis: Eulogia bedeutet ohne den religiösen Kontext ‘gutes Wort‘.)
Die Eigenwerbung des Verlags lautet: Die Eulogia Verlags GmbH vereint das Beste aus der Tradition des Verlagswesens und der Innovation des modernen Online Marketings.
Wenn ich ‘modernes Online-Marketing’ lese, dann macht mein Kopf daraus “Spam, Spam, Spam, Spam …“, aber auf die Schnelle habe ich keine Anhaltspunkte finden können, was genau der Verlag damit meint.
Es scheint sich zumindest nicht um einen Druckkostenzuschussverlag zu handeln.
Interessant ist aber das “Verlagsprogramm”. Ich setze das in Anführungszeichen, weil sich Verlage normalerweise im Sachbuchbereich auf deutlich erkennbare Themenbereiche hin ausrichten — um die erscheinenden Bücher auch sachgemäß betreuen zu können.
Die Themenauswahl des Eulogia Verlags sieht für eine kleinen Verlag doch ziemlich breit aus. Das bedeutet nicht, dass nicht gewisse Schwerpunkte zu erkennen wären. Darunter:
- Ernährungsgurus, Kochbücher (u.a. Anti-Aging)
- Python
- Fußball
- Schwangerschaft
- Survival/Selbstversorgung
- Anlageberatung (u.a. Bitcoin)
- Titel, die vage in Richtung Kulturkampf deuten
Alleine schon die Ernährungsratgeber machen einen eher fragwürdigen Eindruck auf mich und anders, als in einem großen Verlag, wo sich zwischen vielen seriösen Titeln ein paar faule Äpfel finden, steht hier das Buch des Herrn Doktoraden auf einer Seite neben Crypto- und Ernährungsquark. Das wäre, für mich persönlich, nicht das Umfeld, in dem ich eines meiner Bücher sehen wollte, aber YMMV.
Der Eindruck, der sich beim Anblick des Verlagsangebots verfestigt, ist, dass sich die ‘innovative Online-Marketing-Strategie’ des Verlages darin erschöpft, YouTubern Senf ums Maul zu schmieren, die sich bereits eine eigene Followerschaft erarbeitet haben, an die man dann die Bücher relativ leicht verkaufen kann. Kurz: das ‘Marketing’ besteht darin, dass der verlegte Autor die Marketingplattform mitbringt.
Eine Prüfung, ob die Inhalte Hand und Fuß haben, scheint auf den ersten Blick weniger relevant zu sein, als die Zahl der Kanalabos und -klicks.
Das Fazit
Dass man beim Beitritt zur GWUP nun ein Buch erhält, dass eben nicht kritisches Denken lehrt, sondern das eher den Charakter eines politischen “Arguliners” hat, sagt mir folgendes:
- Das mit diesem kritischen Denken ist vielleicht ein bisschen unbequem geworden, denn am Ende denken die Leute noch, was sie wollen
- die GWUP sendet damit ein deutliches Signal, dass alle potenziellen Neumitglieder abschreckt, die tatsächlich einer skeptischen Organisation beitreten möchten, statt einer politischen
— man möchte eine homogene Mitgliederbasis, die sich weltanschaulich auf einer Linie befindet - man positioniert sich offen als politische Organisation mit Anschlußfähigkeit an rechte und rechtspopulistische Weltanschauungen, möchte aber das Feigenblatt des Skeptizismus gerne behalten
— denn das braucht man, um gar nicht erst auf Inhalte einzugehen sondern rein mit Totschlagargumenten der Kategorie “krank“, “pervers” und “irrational” zu arbeiten. - man erteilt jeder Form einer gerechteren, weniger ungleichen Gesellschaft und Weltanschauungen, die diese anstreben, eine Absage
- man akzeptiert nur noch eine Weltanschauung auf die die GWUP nun gezielt “optimiert” wird
- man schämt sich nicht offene Vetternwirtschaft zu betreiben und Buchverkäufe eines im Juni in einem Kleinverlag erschienenen Buchs, als ein ‘kostenloses Goodie’ künstlich zu pushen.
Dass das Buch bereits in einschlägigen Shops, z.b. dem der “Jungen Freiheit” geführt wird, sollte niemanden wundern. Ob man sich bei der GWUP noch ob der Umarmung von rechts gruselt — oder lieber wieder empört von ‘Kontaktschuld’ redet, als könne man gar nichts dafür, dass auch ganz Rechtsaußen das Buch toll findet —, sei dahingestellt.
Ich habe absichtlich keine Links zu Inhalten hinzugefügt, die sich meines Erachtens nicht im Einklang mit dem Minimalkonsens unserer Gesellschaft befinden, dem Grundgesetz mit seiner Absage an Hass und Diskriminierung. Es fehlen die Links:
- zur GWUP
- zum Buch
- zum Shop der Jungen Freiheit und dem von mir zitierten Blurb
- zum Video mit Nikil Mukerji
- zum Video “Feminismus im Faktencheck”
- zum Verlag
Ich bin überzeugt, ihr findet diese selbst, um Euch einen Eindruck zu verschaffen. Ich habe während der Arbeit am Artikel Kopien im Internet Archive angelegt.
Ein sehr aufschlussreicher Artikel, danke!
Im Studium (interdisziplinär, aber naturwissenschaftsbasiert) bin ich auf die GWUP aufmerksam geworden, jedoch nie Mitglied geworden.
Glücklicherweise, und in Zukunft werde ich es auch nicht mehr.
Es gibt so viele, die sich mittlerweile an Rechts anbiedern, dass man sich nur wundern kann. Womit sich alles so Geld verdienen lässt, ist wirklich ein Wahnsinn.