“Wer sich seiner Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.”

Und wer Geschichte studiert, ist dazu verdammt, anderen dabei zuzusehen, wie sie die Geschichte wiederholen, oder Geschichte zumindest reimen lassen.

Was für mich natürlich kein Grund ist, nicht über meine Beobachtungen zu schreiben, in der Hoffnung, dass sie doch noch den einen oder anderen erreichen können.

Kaum jemand wird mir widersprechen, denke ich, wenn ich sage, dass wir gerade in einer Zeit leben, in der weltweit autoritäre, diktatorische oder auch offen faschistische Kräfte an Boden gewinnen.

Im gleichen Maße, wie Minderheiten mehr Gehör finden, erst über die neuen Medien um dann auch von den klassischen Medien wahrgenommen zu werden, entwickelt die bisherige Mehrheit Ängste, an Relevanz, Deutungshoheit, Einfluß und auch Gestaltungsspielraum zu verlieren. Und in der Folge auch an wirtschaftlicher Dominanz.

Alte Schläuche, schaler Wein

So beschreibt der Begriff “Cancel Culture” kein neues Phänomen, sondern nur das gute alte “Gatekeeping”, das den Zugang zu politischen oder gesellschaftlichen Einfluss, Finanzmitteln und medialer Präsenz versucht auf jene einzugrenzen, die denen, die den Zugang kontrollieren, nutzen.

Nur dass “Cancel Culture” als Begriff von eben jenen (ehemaligen) Gatekeepern etabliert wird, denen eine zunehmende Demokratisierung des Zugangs — unter Anwendung von Poppers Toleranzparadoxon — nicht passt.

Reaktionäre und autoritäre Kräfte beschränken sich nie auf den Kampf vorne herum, ehrlich, sachlich und mit offenem Visier. Sie wollen gewinnen und das um jeden Preis.

Meiner persönlichen Ansicht nach, erstarken reaktionäre Kräfte und rechte Parteien immer dann, wenn “die Linke” oder progressive Kräfte gerade sehr schwach sind. Nie, weil rechte oder reaktionäre Kräfte eine positive Zugwirkung haben, sondern weil progressive Kräfte zu schwach und zu zersplittert sind, um gegen Angstmacherei und Hass Perspektiven und positive Gegenentwürfe setzen zu können.

Diese Zersplitterung ist aber auch wieder quasi Teil einer progressiven DNA. Während Rechte und Reaktionäre sich hinter einem Ziel versammeln können, selbst wenn sie intern völlig unterschiedliche Ansichten vertreten, klappt das bei linken und progressiven Kräften nur selten.

Man mag das als Feature sehen (und das ist es zu einem guten Teil, weil Konformismus nicht wirklich Teil einer progressiven Lebenseinstellung ist) oder als Bug. Wenn es darum geht, rechte und reaktionäre Kräfte zurückzudrängen, gerät es oft zum Bug.

Vor allem, weil genau das der Punkt ist, an dem destruktive Strömungen ansetzen, um einen Keil in progressive Bewegungen oder ganze Gesellschaftsprozesse zu treiben, sie weiter zu zersplittern und dadurch zu schwächen.

Divide and Conquer

“Teile und herrsche”.

Dieser Keil wird ist aktuell spürbar geführt und ich bin erschüttert wie viele an sich progressive Menschen, darunter zum Beispiel auch J.K. Rowling, nicht sehen können oder sehen wollen, wer ihn ansetzt, führt und wer ihn mit heftigen Schlägen immer tiefer treibt.

Das rechte Playbook ist alt und bewährt: Man sucht sich eine Minderheit. Am besten eine, die bei Einigen unterschwellig mulmige Gefühle auslöst. Weil sie so fremdartig zur eigenen Wahrnehmung, dem eigenen Weltbild wirkt. Weil sie die ohnehin bei vielen nur schwach ausgeprägte Ambiguitätstoleranz strapaziert. Eine Minderheit, die den Status Quo in Frage stellt. Eine Minderheit, die noch am wenigsten gut in der Bevölkerung verankert und akzeptiert ist, die mit Misstrauen beobachtet wird.

Und auch, eine Minderheit, bei der man glaubt sie auf einen Blick von ‘normalen Menschen’ unterscheiden zu können. Weil es das einfacher macht, sie als “anders” und damit auch als gefährlich brandmarken zu können.

Diese Minderheit, dieser erste Versuch den Keil anzusetzen und in die Gesellschaft zu treiben, sind trans Menschen.

Eine Strategie geht auf

Und die Strategie geht auf.

Kürzlich kam es in meinem beruflichen Umfeld zu einer Diskussion, zwischen Menschen, die sich selbst als Feministinnen bezeichnen. Darunter sowohl Feministinnen, die trans Menschen inkludieren und solche, die trans Frauen aus für Frauen geschaffenen Räumen fernhalten wollen.

Empfänglich für diese Strömung sind vor allem “Second-wave” und “Third-wave” Feministinnen oder jene, die ihnen nahestehen.

Dabei wird das Bild propagiert, dass trans Frauen biologisch weiterhin Männer sind, außerdem männlich sozialisiert sind und damit auch weiterhin eine Gefahr für “biologische Frauen” darstellen. Dass sie daher — zur Sicherheit der biologischen Frauen — aus Frauenschutzräumen ferngehalten werden müssen.

Das erschreckende an dieser Darstellung ist, wie offensichtlich die historischen Parallelen sind und wie wenig diese von “trans-exkludierenden” Personen reflektiert werden.

Die teilweise mit pseudo-“medizinischen” Argumenten geführte Diskussion, erinnert in weiten Strecken an Argumente, Muster und schlicht FUD, wie man ihn sonst aus der Impfgegnerszene oder nun auch der Querdenkerszene kennt.

Der Feind deines Feindes ist auch dein Feind

Zum Beispiel werden die Argumente von rechten US-Evangelikalen, die mit ihrer “Bathroom-Bill” den ersten öffentlichen Schlag gegen trans Menschen führten, völlig ironiefrei übernommen. Ich bekam sogar Material von Evangelikalen über angebliche sexuelle Übergriffe durch trans Personen in öffentlichen Toiletten durch Feministinen zugeschickt. Materialien, die US-Evangelikale, die ebenfalls fanatische Abtreibungsgegner sind und es nun in einigen US-Staaten geschafft haben — oder auf dem Weg sind, es zu schaffen — sogar eine Ausschabung nach einer Fehlgeburt zu kriminalisieren, zu Propagandazwecken zusammengestellt haben.

Materialien, von fanatischen Frauenhassern. Die unironisch als Beweise für die Gefährlichkeit von trans Frauen angenommen werden.

Auch andere ‘Argumente’ gegen trans Menschen, wie die scheinheilig vorgeschobene Besorgnis um Kinder mit einer trans Identität oder die angebliche Schwemme von Retransitionen (“Wir wissen besser als Du, dass Du in Wirklichkeit gar keine Transition willst, Darling”, ist direkt aus dem Gruselkabinet evangelikalischer Talking Points inspiriert. Sogar das konservative “Trannie”-Kinderschreck-Abziehbild, die reaktionäre Vorstellung von “richtigen” Männer- und Frauenkörpern und die an Grenzgängen und an Ambiguität hängenden Abneigungen werden bemüht.

Das ist die Basis, auf der „Trans-Exclusionary Radical Feminists” ihre Ablehnung gegen eine ganze Menschengruppe aufbauen. Ohne zu reflektieren, woher diese Welle der Abneigung, woher diese Zugkraft hinter der Bewegung eigentlich kommt.

Sie haben sich zum langen Arm, zum Werkzeug einer radikalen, faschistischen religiösen Gruppierung machen lassen und sie bemerken es nicht. Einer Bewegung, die sie hasst, die ihnen als nächstes alle Rechte nehmen will und nehmen wird, wenn sie denn erst mal mit den trans Menschen fertig sind.

Trans Menschen exkludierende Feminist:innen lassen es zu, dass Faschisten den ersten Riß in den progressiven Strömungen nicht nur gefunden haben, sondern seit einigen Jahren nun stetig verbreitern.

Der Hass, der von einigen Teilen des Feminismus ausgeht, ist so stark, beissend, eiskalt und bitterböse, dass es einem den Atem raubt.

Sie teilen die progressiven Kräfte in zwei Lager – trans Menschen und trans exkludierende Menschen — und schwächen dadurch beide. Sie machen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit unmöglich, weil sie einem Teil der progressiven Kultur die Existenzberechtigung absprechen. Sie säen mehr Mißtrauen, mehr Abneigung und mehr Hass.

Kein Fußbreit

Jedesmal, wenn eine Gesellschaft ins Autoritäre oder Faschistische abgleitet, gibt es — ähnlich wie beim Klimawandel — mehrere Kipppunkte. Erst werden Minderheiten isoliert, dann verfolgt. Kritische Stimmen werden erst — durch Selbstzensur zum Selbstschutz — leiser, dann werden auch sie verfolgt. Bis niemand mehr da ist, der sich wagt, offenen von der Norm abzuweichen (sofern er das verhindern kann), oder sich als von der Norm abweichend im öffentlichen und medialen Raum zu bewegen. Bis niemand mehr wagt, für andere einzutreten, sondern nur noch um das eigene Überleben kämpft.

Trans Menschen sind ein solcher Kipppunkt.

Das Beste, das man im Moment gegen das Erstarken von rechten Strömungen tun kann, ist diese Strategie scheitern zu lassen — und jede weitere, die mit Sicherheit folgen wird.

Und das bedeutet hinter trans Menschen zu stehen, koste es was es wolle.

3 Comments Geschichte analysieren, während sie passiert: trans Menschen

  1. geschichtenundmeer

    Ich muss zugeben, ich hatte Vorbehalte. Nicht gegenüber trans Menschen als solchen, aber ich habe gezweifelt, ob z. B. cis und trans Frauen in allen Bereichen, die Frauen betreffen, zusammenarbeiten können. Inzwischen bin ich der Meinung, dass wir uns solidarisieren müssen, um in Würde und Freiheit (über-)leben zu können.

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